Blutbraut
zurücklegte, sobald sich das erste Grau am Horizont zeigte. Es war verrückt, aber ich war jedes Mal aufs Neue von dem Spiel seiner Muskeln unter seinem Tattoo fasziniert. Bei jeder seiner Bewegungen schien es so lebendig, als sei das auf seinem Rücken tatsächlich etwas anderes als in die Haut gestochene Farbe.
In der Küche wartete dann schon Frühstück auf mich. Wenn ich fertig war, hatte ich in sein Laboratorium zu kommen. Während ich noch aß, widmete er sich bereits den ›Geschäften‹ oder seiner eigenen Magie; jenen ›Dingen‹, bei denen er mich nicht dabeihaben wollte. Um die Mittagszeit entließ er mich wieder. Manchmal hatte ich den Eindruck, er hätte mich gerne auch noch an den Nachmittagen in die Kunst der Hexerei eingeführt, beugte sich aber notgedrungen der Natur: Ich bekam nicht mehr in meinen Schädel. Ganz nebenbei machte mir nach wie vor die Hitze zu schaffen. Die Mittagsstunden verbrachte ich nach einem kleinen Obst-Snack – ich hatte mich zum Obst-Junkie entwickelt – und einer ausgiebigen Dusche meist in meinem Bad auf dem Fußboden und beobachtete aus der Kühle heraus das Spiel des gleißenden Lichts draußen in der Wüste. Und hing meinen Gedanken nach. Das ein oder andere Mal döste ich auch ein. Den Spiegel im Bad hatte ich
abgehängt – ebenso den in meinem ›Kleiderschrank‹ –, nachdem ich jetzt von seiner besonderen Gabe wusste. Die ganze Zeit über waren es seine Augen gewesen, die mich in den Spiegeln verfolgt hatten. Und die nach und nach ihre Farbe von dunkel, beinah schwarz, zu diamantfahl und farblos gewechselt hatten.
Am späten Nachmittag, wenn es auch am Pool erträglicher wurde, verkroch ich mich meist dort in irgendeinen Schatten. Und wenn die Sonne dann nicht mehr so sehr brannte, dass ich nicht mehr Gefahr lief, selbst unter seiner Oberfläche einen Sonnenbrand zu bekommen, legte ich mich auf die Stufen unter Wasser und ließ mich träge dahindümpeln. Gewöhnlich tauchte Cris dann auf und leistete mir für den Rest des Abends Gesellschaft, bis ich müde ins Bett sank. Mit jedem Tag fiel es ihm schwerer, vor mir zu verbergen, was er davon hielt, dass ich plötzlich so viel Zeit mit seinem Bruder verbrachte. Die Art, wie er mich zuweilen ansah, wenn er glaubte, ich bemerkte es nicht, sprach deutlich von Eifersucht. Und das ein oder andere Mal hatte ich das Gefühl, dass da noch etwas anderes war, das ich aber nicht benennen konnte. Dass ich noch immer auf Distanz ging, wenn er mir auf diese alte, aus Boston so vertraute Weise nahekommen wollte, machte es nicht besser.
Rafael schien nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt. Allerdings war das wohl etwas völlig Normales. Hatte er mir mein Springmesser auf den Nachttisch gelegt?
Ihn hatte ich seit unserem Unfall nicht mehr nach Einbruch der Dunkelheit gesehen. Dafür waren seine Anweisungen, was diese Zeit und mich anging, klar: Ich hatte im Haus zu bleiben. Wo ich sicher war. Ein paar Mal fragte ich mich, wovor. Vielleicht auch vor ihm? Cris sagte zwar, sein Bruder ginge jede
Nacht auf die Jagd oder fordere in San Isandro den ›Blutzoll‹ ein – den Preis, den die Bewohner des kleinen Städtchens an ihn als ›ihren‹ Hexer für ihre Sicherheit zu zahlen hatten –, aber zuweilen glaubte ich, ihn in der Dunkelheit jenseits der Fensterscheiben zu sehen. Ein Schatten, der seltsam ruhelos um das Haus strich. – Manchmal fragte ich mich dann, wie es sich anfühlte, wenn man sich nach und nach in ein Monster verwandelte. Das Blut von Unschuldigen zum Überleben brauchte. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Und ich wollte es auch nicht.
»Die acht Elemente der Hexerei?« Er sah noch nicht einmal von dem hölzernen Kästchen mit den vollkommen klaren Bergkristallen auf. Dadurch entging ihm, wie ich genervt die Augen verdrehte. Seit wann hingen anstelle der Sternkonstellationen Wetterkarten an dieser Wand?
»Erde, Luft, Wasser, Feuer, Eisen, Holz, Tränen und Blut. – Zum dritten Mal heute.«
»Und möglicherweise auch nicht zum letzten Mal.« Er hielt einen der Kristalle ins Licht, legte ihn dann auf ein schwarzes Seidentuch neben dem Kästchen. »Das dreizehnte Siegelzeichen? Von hinten bitte.«
»Semenin.« Ich runzelte die Stirn, begutachtete das Siegel, das ich gerade gezeichnet hatte. Musste der untere Bogen jetzt nach links oder rechts enden?
»Und wie sieht es aus?«
»Was?« Okay, ich hatte den Faden verloren.
»Semenin.«
»Wie das Tierkreissymbol des Wassermanns, nur mit einem
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