Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
würde. Er wollte beiden zugleich erzählen, was ihm auf der Seele lag.
»Gern. Doch vielleicht könnten Sie sich in der Zwischenzeit diese Fotografien ansehen, die wir in Paul Ahlsens’ Brieftasche fanden. Sie haben uns bereits vor einigen Tagen mit Ihren Fotos sehr geholfen. Die Aufnahmen sind auch älteren Datums. Würden Sie sich bitte die Mühe machen?«
Walter kam schon zurück und setze sich zu ihnen. »Alles erledigt. Ich hole nachher noch neues Holz und Kohlen rein.«
Meiring sah sich die zwei Bilder an. Dann fragte er: »Warum hatte Paul Ahlsens die bei sich? Das ist nicht seine Familie. Kein Ahlsens ist dabei. Das sind die Eltern von Emil Winter! Und das hier ist Laurenz, das ist der Emil und das bin ich.« Ein Moment der Erinnerung verjüngte sein trauerndes Gesicht. »Ich habe ähnliche Bilder aus dem Sommer, aber nun ...«, ratlos legte er die Aufnahmen beiseite. Einen Moment später staunte er über sich selbst. »Solche Fotos hatte der Laurenz bei sich im Zimmer, wissen Sie, in einem Rahmen stehen. Dass mir das jetzt erst einfällt!«
Das wäre immerhin eine Erklärung für den leeren Rahmen, dachte Walter sich.
»Ob er sie dem Paul Ahlsens gegeben hat? Was meinen Sie?«, wandte sich Johannes Meiring an Judith Brunner.
»Dazu kann ich Ihnen leider nicht mehr sagen, aber vermutlich schon.« Judith nahm die Fotos wieder an sich. »Aber was wollten Sie uns denn erzählen, Herr Meiring?«
Sie hörten das Feuer im Ofen bullern, er zog gut. Bald würde es behaglicher werden.
Meiring rang mit sich und fand anscheinend keinen geeigneten Einstieg für seinen Bericht. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ja? Möchten Sie ein Bier?« Er gab Walter kurz ein Zeichen.
Der kannte sich aus und kam mit zwei Flaschen Pilsner wieder. »Ich hole gleich noch Gläser.« Achselzuckend blickte er zu Judith und fragte sie: »Möchten Sie ein Wasser?«
Sie lächelte zurück und nickte.
Johannes Meiring war froh, dass das Öffnen der Flaschen und das Einschenken ihm etwas Zeit verschaffte. Er nahm langsam einen Schluck Bier, holte Luft und sagte dann: »Ich habe gewusst, dass dort im Wald der Emil Winter lag.«
Walter, der eben zu seinem Glas greifen wollte, erstarrte in der Bewegung. »Was!?«
»Aber? Wie gewusst?«, Judith Brunner war bestürzt.
»Na, ich wusste eben Bescheid. Dort bei Lindenbreite lag Emil Winter. Und das schon eine halbe Ewigkeit.«
»Ich fürchte, das müssen Sie uns erklären«, fand Judith Brunner langsam ihre Sprache wieder.
»Hm«, Meiring nahm den nächsten großen Schluck, »ich hab schon die ganze Nacht gegrübelt, wie ich Ihnen die Geschichte erzählen soll. Hätte es etwas geändert, wenn ich schon früher geredet hätte? Also, alles fing vor ein paar Wochen an. Der Laurenz war gekommen und lieh sich das Buch bei mir. Sie wissen schon. Danach haben wir uns öfter unterhalten und immer wirkte er sehr bedrückt. Na ja, und da habe ich ihn eines Tages direkt gefragt, was mit ihm los ist.« Er strich sich mit der Hand über die grauen Haare und seufzte. »Erst wollte er nicht mit der Sprache raus, doch dann hat er mir eine Geschichte erzählt. Er musste es wohl endlich loswerden!« Es dauerte einen kleinen Moment, während dessen Johannes Meiring vergessen zu haben schien, dass er ihnen etwas berichten wollte, doch dann begann er: »Im Frühsommer, damals, als der Krieg endlich zu Ende ging, hatte Laurenz im Wald zu tun. Er hatte den Kriegsdienst unversehrt überstanden und arbeitete schon seinerzeit für die Ahlsens, aber noch nicht als Chauffeur. Ein kräftiger Mann im besten Alter war auf einem Gut in dieser Zeit eine unbezahlbare Arbeitskraft. Jede Hand war nötig, wissen Sie. Na, weiter. Er prüfte also den Waldbestand nahe Lindenbreite, um den Holzeinschlag für die Auktionen im Herbst vorzubereiten. Auf einmal, sagte er, hörte er ein leises Wimmern, wie von einem Kind, das weinte. Vorsichtig ging er in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien, und da fand er eine junge Frau, die verzweifelt schluchzte. Sie kniete neben einem leblos liegenden großen Mädchen. Laurenz konnte nicht erkennen, ob es nur verletzt oder schon tot war. Das Gesicht war voller Blut. Die Kleidung war zerrissen und beschmutzt. Ein Schuh fehlte. Die weinende Frau reagierte überhaupt nicht auf sein Erscheinen. Vielleicht war sie in ihrer Verzweiflung zu keiner Reaktion mehr fähig?« Meiring machte eine kurze Pause. »Laurenz sagte, dass er erst einmal wie erstarrt dieses grauenhafte
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