Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
Bild bestaunte. Mitten in der Schönheit des frühsommerlichen Waldes war es zu einer Katastrophe gekommen. Und er wurde unfreiwillig Zeuge. Was geschehen war, konnte er überhaupt nicht einschätzen. Ein Überfall? So viel stand fest! Schwere Misshandlungen, viel Blut! Wer hatte das getan? Der Krieg war doch vorbei. Marodierende Banden gab es in der Gegend bisher nicht. Er blickte sich ängstlich um. Drohte ihnen noch Gefahr? War noch jemand in der Nähe? Und dann hat er hinter einer aufragenden Wurzel, einige Meter neben den Frauen, einen am Boden liegenden Mann bemerkt. Er lag auf der Seite, Heitmann zugewandt. Zerlumpt, in einem alten Uniformmantel. Laurenz eilte hin, und erst als er sich niederhockte, um ihm ins Gesicht zu sehen ...« Meiring seufzte und sprach erst nach einer langen Pause weiter: »... erkannte er den Emil Winter. Tot. Er ging um die Leiche herum. Ein Messer steckte noch tief in ihrem Rücken. Er blickte wieder rüber zur jungen Frau und dem reglosen Mädchen. Es war immer noch ein grausiger Anblick. Doch dann, zu seiner Erleichterung hatte das liegende Mädchen begonnen, sich zu bewegen und die junge Frau redete schluchzend auf sie ein. Entsetzt ließ er sich auf einem Baumstumpf nieder, wie betäubt. Das Weinen der Frau, das blutüberströmte Mädchen, sein Freund tot zu seinen Füßen. Laurenz würde den Augenblick nie vergessen, erzählte er mir, als er begriff, was hier passiert war. Emil hatte das Mädchen überfallen. Die junge Frau hatte es beschützen wollen. Ihr Stich in den Rücken hatte ihn gleich getötet, sonst hätten es vielleicht beide jungen Frauen nicht überlebt.«
Johannes Meiring machte wieder eine Pause, trank einen Schluck Bier und setzte fort: »Wie sollten sie aus dieser Situation herauskommen? Er als ein zufälliger Zeuge einer Tragödie, die zwei jungen, hilflosen Frauen. Und sein Freund, sein endlich aus dem Krieg heimgekehrter Freund. Ein Vergewaltiger? Ein Verbrecher? Er konnte es damals nicht glauben. Und er glaubte es bis heute nicht, das habe ich ihm angemerkt. Er war verzweifelt!« Meiring schwieg.
Judith sah verwirrt zu Walter. Diese Geschichte war wirklich erstaunlich, doch noch fehlten entscheidende Teile. Walter fragte behutsam nach: »Und dann hat Laurenz Heitmann seinen Freund begraben?«
Meiring nickte. »Ja. Er hat mir erzählt, er wollte nicht, dass Emils Andenken im Ort leidet. Seine Eltern, die ihn sehnlichst zurück erwarteten, hätten das nicht überlebt. Und auch Irmgard. An die Frauen im Wald dachte er in diesem Zusammenhang wohl nicht. Na ja, Emils Eltern sind später von hier weggegangen.« Meiring stockte kurz. »Laurenz nahm sich damals der jungen Frauen an. Er half ihnen und führte sie erst einmal von dort weg. Zum Vorwerk Lindenbreite. Das Haus stand leer, das wusste er. Hier glaubte er, die beiden gut untergebracht zu haben, damit sie sich beruhigen und auch reinigen konnten. Dann begrub er seinen Jugendfreund im Wald, an einer Stelle, die er den Frauen nicht zeigte. Am nächsten Tag, als er mit ein paar Lebensmitteln zu ihnen nach Lindenbreite zurückkehrte, ging er danach zum Grab. Er entdeckte unweit vom Ort des Dramas die Tasche von Emil Winter, in der er Fotos und ein paar persönliche Dokumente fand. Laurenz nahm sie an sich. Und das war ’s.«
Eine Weile blieb es ruhig, doch dann fragte Walter nach, obwohl der Rest schon offensichtlich war: »Das kann aber noch nicht alles sein. Herr Meiring. Was, zum Beispiel, ist aus den Frauen geworden? Hat Heitmann dazu etwas gesagt?«
Meiring schwieg weiter.
Und Judith half: »Mit den Papieren seines Freundes war es ganz leicht, aus Emil eine Emily Winter zu machen, stimmt’s? Es war Nachkriegszeit. Die Bürokratie war auf die Papiere angewiesen, die die Leute hatten. Und so trafen eines Tages zwei Schwestern, Anne und Emily Winter, in Waldau ein und ließen sich hier nieder. Sie teilten ein Geheimnis mit Laurenz Heitmann und keiner hat es je verraten. Könnte das ungefähr der Wahrheit entsprechen, Herr Meiring?«
»Ja, er wollte die Erinnerung an seinen Freund nicht beflecken, er hat sich geschämt für den Emil, und den Frauen war an einer Aufdeckung des Verbrechens nicht gelegen.«
»Das verstehe ich nicht! Warum wollten sie das nicht? Es war Notwehr!« Walter suchte nach Erklärungen.
Judith Brunner überlegte: »Vielleicht war der Überfall ihnen peinlich. Sie hatten Angst, sich zu erklären. Und immerhin hatte die eine einen Menschen umgebracht. Mit Heitmanns Lösung konnten
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