Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
Nein, Judith. Ich denke, es war jemand, der genau weiß, wie man es machen muss, wie man ein Messer als Waffe benutzt. Der auch weiß, wie man unauffällig tötet und wie man ungesehen wieder verschwindet.«
Judith ließ sich das einen Moment durch den Kopf gehen. »Gut, wirklich gut«, meinte sie dann anerkennend. Und plötzlich bekam sie einen Schreck. »Wenn das stimmt, dann haben wir ein Problem. Die Winter-Schwestern!«
Walter nickte. »Genau. Ich konnte mir von Anfang an nicht vorstellen, dass Emily Winter die Fähigkeiten zum präzisen Töten hatte und Emil Winter mit einem Stich töten konnte, zumal sie heute mehrmals von großer Schwäche sprach, unter der sie damals litt.«
»Wer dann?«, sprach Judith aufgeregt.
Walter deutete ein mögliches Szenario an: »Heitmann hat vielleicht gelogen. Was, wenn nicht Emily Winter, sondern er seinen Freund erstochen hat? Ohne zu wissen, wen er da tötete. Er sah den Angreifer nur von hinten auf dem schreienden Mädchen liegen.«
»Heitmann als Mörder, zugegeben möglich, doch da neige ich mehr zu der Variante, die wir heute schon zweimal hörten. Außerdem, warum sollte Emily Winter uns dann diese Geschichte überhaupt erzählen? Sie übernimmt doch nicht freiwillig die Verantwortung für einen Mord von einem Toten! Sie wäre mit Ihrer Version doch sofort aus dem Schneider! Zudem hieße das, nach Ihrer Logik, dass Heitmann sich jetzt selbst umbrachte und einen Tag später tötet er noch irgendwie Paul Ahlsens?«
Obwohl Walter den ungläubigen Unterton ihrer Worte hörte, gab er sich nicht geschlagen, sondern erläuterte geduldig weiter, was er schon seit geraumer Zeit in sich trug: »Also, halten wir fest, nicht Emily, schon gar nicht Anne Winter und auch nicht Laurenz Heitmann kommen für uns glaubhaft als Mörder in Betracht. Doch Emil Winter ist ermordet worden und letzte Woche zwei weitere Männer. Auf dieselbe Art.« Er sah seine Kollegin eindringlich an. »Wissen Sie, was das bedeutet, Judith? Es bedeutet, dass es dort im Wald noch jemanden gab, eine weitere Person, und die haben wir noch nicht gefunden.«
Noch schaute Judith skeptisch. Deshalb brachte Walter jetzt den gesamten Emil-Winter-Fall ins Wanken. »Judith, keine der Geschichten, die wir heute hörten, kann die ganze Wahrheit sein. Ich konnte es nach unserem Gespräch bei den Winter-Schwestern nicht gleich fassen, aber dann fiel mir ein wichtiger Unterschied auf. Sie erinnern sich, in der Heitmann-Version fand er die Schwestern allein im Wald. Einige Meter entfernt lag der tote Emil Winter. Aber Emily Winter erzählte uns, dass sie mit knapper Not den Toten von ihrer Schwester schubsen konnte. Dass sie danach noch die Kraft hatte, die leblose Schwester meterweit wegzuschleifen, davon kein Wort. Ich vertraue außerdem eher der Heitmann-Darstellung. Es kann doch sein, dass die ganze Szene für ihn so inszeniert wurde! Nur, wie die Schwestern das alles allein hinbekommen haben sollten, leuchtet mir beim besten Willen nicht ein.«
Eine Weile blieb es ruhig. Doch dann wurde Judith bewusst, dass in Walters Idee endlich der Schlüssel zur Lösung des Falles lag. Nicht nur Laurenz Heitmann, Emil Winter und die zwei Frauen – ein weiterer Tatbeteiligter war vor Ort! Ihr Herz klopfte deutlich schneller, als sie Walter mit blitzenden Augen ansah. »Das ist in der Tat richtig gut, Walter. Endlich haben wir eine Erklärung, mit der wir weiterkommen könnten.« Nun war sie überzeugt von seiner Idee, auch wenn sie die Akte Emil Winter buchstäblich wieder öffnen musste.
Froh, dass Judith ihm aufmerksam zugehört hatte und ihm sogar folgte, führte Walter seine Gedanken weiter aus: »Vielleicht liegt hier auch das Motiv für die heutigen Morde. Was hatte Heitmann entdeckt? Es ist schon fast egal – Fakt ist, er musste dafür sterben. Und Paul Ahlsens, dem er sich anvertraute, ist sicherheitshalber auch gleich umgebracht worden.«
Judith verstand. »Jemand fühlte sich so unter Druck gesetzt, dass er keine andere Lösung mehr sah!«
»Genau«, bestätigte Walter. »Und es muss eine ältere Person sein. Bedenken Sie, wir gehen bei dieser Hypothese davon aus, dass sie schon bei dem Mord an Emil Winter vor vier Jahrzehnten dabei war.«
»Oder ihn sogar selbst ermordet hat?«, dachte Judith die Möglichkeiten zu Ende. »Was meinen Sie, wir gehen in jedem Fall von einem Mann als Täter aus?«
»Ja, bestimmt, das können wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen. Zu der Zeit war eine solche Spezialausbildung für
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