Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
dunkle Jahreszeit.«
Die Besucher standen in dem winzigen Flur des Hauses und warteten rücksichtsvoll, bis die Hausherrin sich entschieden hatte, wo sie mit ihnen reden wollte. »Kommen Sie doch bitte mit in die Küche, da ist es jetzt am wärmsten.« Irmgard Rehse seufzte und setzte sich zu ihren Gästen. »Geht es um Paul Ahlsens?«
»Nicht direkt, allerdings haben wir in seiner Brieftasche einige Fotos gefunden und würden gern Ihre Meinung dazu hören.« Judith nahm die Aufnahmen aus der Tasche und legte sie vor Irmgard Rehse nebeneinander auf den Tisch. Geduldig warteten sie, bis die Fotos betrachtet worden waren.
»Das sind Fotos von Laurenz Heitmann, stimmt’s?«
»Woher wissen Sie das?«
»Na, ich besuche ihn ...«, Irmgard Rehse schluckte, »... habe ihn ab und zu besucht, bei Geburtstagen und so, und das seit ewigen Zeiten, und immer stand der Rahmen mit genau diesen Fotos bei ihm im Zimmer. Warum hatte die denn der Paul Ahlsens jetzt?«
»Dafür haben wir auch noch keine Erklärung«, gab Judith Brunner zu. »Sagen Sie, kennen Sie jemanden mit dem Namen Karl Busch?«
»Karl Busch?« Sie blickte auf die Fotos, wie, um eine Erinnerung wachzurufen. Zögernd sagte sie dann: »Nein, ich kann mich an diesen Namen nicht erinnern. Niemand von hier heißt so.«
»Und von außerhalb? Er muss nicht aus Waldau sein«, regte Judith Brunner an.
Doch auch dazu fiel Irmgard Rehse niemand ein.
Behutsam stellte Walter die nächste Frage: »Du weißt inzwischen sicher, dass der Tote im Wald, den wir gefunden haben, der Emil Winter aus unserm Dorf hier ist?«
Jetzt konnte Irmgard Rehse die Tränen nicht mehr halten und fing zu weinen an. »Ist das nicht schlimm? Wir haben’s alle nicht gewusst. Er und ich ...«, sie konnte nicht mehr weiter sprechen. »Und erst seine Eltern. Die waren damals untröstlich, als alle nach Hause kamen, nur ihr Emil nicht. Und die ganze Zeit lag er in der Nähe.« Sie nestelte ein Taschentuch aus ihrer Schürzentasche und schnäuzte sich energisch. Die Tränen konnte sie nicht stoppen.
Walter dachte an die Andeutungen, dass sie und Emil Winter mal ein Liebespaar gewesen sein sollten. Sicher, eine Jugendliebe, und die waren oft nicht von langer Dauer. Doch wer sagt, dass nicht auch länger was zwischen den beiden gelaufen war? Schließlich waren sie schon lange vor dem Krieg im heiratsfähigen Alter. Und wie er heute erfahren hatte, wurde nicht alles im Dorf offenbar. Für ihn stand fest: Diese weinende Frau hatte ihren Liebsten verloren, glaubte ihn im Osten verschollen. Und nun erfuhr sie, dass er nur einen Spaziergang weit begraben lag! Er wusste nicht, wie er ihr taktvoll beibringen sollte, dass ihr Freund, Laurenz, dies die ganze Zeit vor ihr verschwiegen hatte. Und erst recht fiel Walter keine Möglichkeit ein, ihr schonend den Hintergrund der Tat mitzuteilen.
War dies überhaupt nötig?
Er hätte sich mit seiner Kollegin vorher darüber verständigen müssen. Judith blickte überrascht auf, als er unvermittelt aufstand und sich verabschiedete: »Es tut uns leid, das wir dir Kummer bereiten mussten. Wir kommen ein andermal wieder, falls wir noch Fragen haben. Oder falls dir noch etwas eingefallen ist, ja?«
Irmgard Rehse schniefte. »Wie geht es denn dem Hannes Meiring?«
Walter seufzte. »Na, nicht gut. Er war mit Emil Winter ja auch eng befreundet. Und er macht sich viele Gedanken, wie das alles zusammenhängt.«
Judith nahm die Fotos vom Tisch und erhob sich ebenfalls. Ihr war klar geworden, in welcher Schwierigkeit sich Walter sah. »Vielleicht sehen Sie morgen mal bei Herrn Meiring vorbei«, wagte sie einen Vorschlag. »Er freut sich sicher.« Johannes Meiring kannte Irmgard Rehse seit Ewigkeiten und wusste vielleicht am besten, welche Neuigkeiten ihr zuzumuten waren und wie sie damit umgehen würde. »Sollen wir jemanden bitten, vorbeizukommen?« Judith Brunner war nicht wohl bei dem Gedanken, die alte Frau in ihrem Unglück allein zurückzulassen.
Irmgard Rehse lehnte leise, aber bestimmt ab: »Nein, nein, ich bin gern allein, und heute sowieso. Wissen Sie, ich bin den ganzen Tag dort im Wald gewesen, hab mir angesehen, wo er gelegen hat.« Sie schluchzte erneut. »Eigentlich war es ein schöner Platz. Wer ihn wohl begraben hat, hab ich gedacht. Und wann kam er denn überhaupt zurück?« Sie schüttelte ratlos den Kopf.
»Ich komme morgen wieder. Dann wissen wir ganz sicher mehr.« Walter war elend zumute, als er sich an der Tür umdrehte und seine Nachbarin
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