Bluteis: Thriller (German Edition)
schafft sie im Jahr 1995, sie ist gerade zwanzig geworden, ihren College-Abschluss. Sie nimmt einen anderen Namen an, erhält ein Stipendium und geht in die USA, wo sie studiert.«
Die ersten Männer treten von einem Fuß auf den anderen. Hatte Axel Kayser sie in die Suite des amerikanischen Vizepräsidenten geladen, um eine herzzerreißende Erfolgsstory einer afrikanischen Buschfrau zum Besten zu geben? Wollte er Spenden sammeln?
Unbeirrt von den Fragezeichen auf den Gesichtern seines Publikums fuhr der Chairman fort. »Sie fragen sich, woher wir das alles so genau wissen. Die Antwort ist einfach. Die Stadt Obuasi ist Sitz der AfroGoldAshanti aus Johannesburg. Die Stadt – wie so viele andere Goldgräberstädte Afrikas auch – gehört der AGA, wenn man so will. Das Krankenhaus natürlich auch. Und das Bistum Obuasi lebt von den Spenden der AGA. Alle Menschen in Obuasi leben von der AGA. Auch Kisi lebte von der AGA. Ihre Schulausbildung, ihr Stipendium, ihre Reisekosten nach Boulder, Colorado. Alles hat die AGA bezahlt. Natürlich wusste die AGA jederzeit ganz genau, wo sich ihre Vorzeigeschülerin aufhielt. Und was sie dort tat. Man setzte große Hoffnungen in sie. Vielleicht könnte sie eines Tages eine wichtige Rolle in ihrer Heimat übernehmen. In der Politik. In der Wirtschaft. Nun, wie dem auch sei: 2000 verschwand Kisi von den Monitoren der AGA. Das Studium hat sie nach wenigen Vorlesungen abgebrochen. Sie verschwand auch von den Monitoren der CIA und des südafrikanischen Geheimdienstes. Das war vor 9/11, das US-Heimatschutzministerium war noch nicht gegründet, und das internationale Netz der Dienste hatte noch Lücken. Menschen konnten noch leichter untertauchen, als das heute der Fall ist. Um Sie nicht allzu lange auf die Folter zu spannen: Kisi tauchte vier Jahre später, 2004, in Ghana auf, gewann ihren Krieg gegen PalmCorp und hat im Anschluss, wie ich bereits erläuterte, eine Armee aufgestellt. Sie hat in Nord- und Südamerika, aber auch in Europa rekrutiert und ausgebildet. Indoktriniert, würde man sagen. Dabei hat sie keinen einzigen Text selbst geschrieben. Keine einzige Rede gehalten. Sie hat es verstanden, das Material, das seit gut zehn Jahren in allen erdenklichen Formen im Internet vorhanden ist, so zu vernetzen, dass junge Leute, die die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen, dieses Material sehen und sagen: Da mach ich mit. Und es werden täglich mehr. Es breitet sich aus wie ein Krebsgeschwür. Nur schneller. Wie Bakterien, die unter idealen Bedingungen in einem Brutkasten herangezüchtet werden. In der Jugend des Westens breitet sich dieses Gedankengut aus.« An dieser Stelle machte Kayser eine Pause, ging zu einem Beistelltisch, auf dem ein Wasserglas stand, goss sich ein und nahm einen großen Schluck.
Das gab Brian Gelegenheit, erneut etwas einzuwerfen. »Und was tun die Geheimdienste?«
»Gute Frage, Brian. Nun, zumindest wissen sie das, was ich Ihnen soeben gesagt habe. Aber ob sie es ernst nehmen? Ich weiß nicht. Sie sind alle auf den Mittleren Osten, auf China und Russland gepolt. Wer kümmert sich da um ein paar hundert oder tausend Leute, die auf Twitter und Facebook Nachrichten austauschen, die im Wesentlichen aus Links zu Nachrichten, YouTube-Videos und anderen Quellen bestehen? Und die einmal zu einem Zeichentrickfilm von Walt Disney, ein andermal auf einen Vortrag eines Universitätsprofessors bei einer TEDx-Konferenz führen? Das gesamte Material ist vollkommen harmlos. Nur im Zusammenhang wird es brisant.«
»Woher wissen Sie das, Lex?«, hakte Brian nach.
Lex Kayser machte eine lange Pause. Dann sagte er kaum hörbar: »Von ihr. «
»Von ihr? Was meinen Sie damit? Von dieser … Kisi?«
»Exakt. Ich kann Ihnen die genauen Umstände nicht erläutern. Aber, bitte glauben Sie mir, sie hat es mir erzählt. Persönlich. Unter vier Augen.«
Nur sehr kurz flackerte ein Lächeln über die Gesichter der Männer, die die Vorlieben ihres Vorsitzenden gut kannten. Er hatte schon immer eine Schwäche für exotische Frauen gehabt. Je dunkler, desto besser. Es war offensichtlich, dass sich diese Kisi diese Schwäche zunutze gemacht und sich an ihn herangemacht hatte. Und dass sie bei Kayser im Bett gelandet war. Doch die Häme verschwand eine Zehntelsekunde später von den Gesichtern. Denn diese Männer konnten strategisch denken. Wenn jemand wie Kayser so etwas sagte oder auch nur andeutete, dann gab er zu, dass er wegen seiner sexuellen Präferenzen erpressbar oder
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