Bluteis: Thriller (German Edition)
wollten wir nicht alle zurück auf die Alm und Kühe melken? Oder Schokolade anrühren? Vergessen Sie die Möglichkeiten der Käselochzählerei nicht.«
Die betretenen Mienen starrten immer betretener auf die Tischplatte.
Maler räusperte sich, öffnete den Krawattenknoten ein wenig und knöpfte den Hemdkragen auf. Dann atmete er tief durch. »Ich werde zynisch. Entschuldigen Sie, aber wenn wir hier keine Ergebnisse bieten, können wir uns in der Tat alle neue Jobs suchen. Dann suchen wir uns am besten ein neues Land. Eine Insel im Süd-Pazifik vielleicht. Am Bikini-Atoll soll das Land billig sein. Solange es noch da ist. Los, hauen Sie ab in Ihre Ämter und machen Sie Ihren Leuten Dampf! Ich will diese Terrorbrut. Tot oder lebendig. Ja, meine Herrschaften, ich gebe die Wildwest-Parole aus: Schießen Sie zuerst, fragen Sie später!«
Habersack war der Erste, der aufstand und wortlos aus der doppelflügeligen Tür des Raumes ging. Hätte sein oberster Vorgesetzter gewusst, was sein bester Mann Steiner glaubte, herausgefunden zu haben, nämlich dass es neben dem Massenmord auch noch eine Entführung gegeben hatte, dann hätte Maler ihn an Ort und Stelle mit der eigenen Krawatte erdrosselt. Das war Habersack vollkommen klar. Steiner musste diese verfluchten Entführten finden. Koste es, was es wolle.
»Finden Sie mir diese YouTube-Burschen!«, schrie ihm Maler nach.
Dienstag, 19. Februar, 20 Uhr 25
Zürichsee, an Bord der MS Uetliberg
Das Chäs-Fondue-Schiff, zu dem die MS Uetliberg an diesem Abend von der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft AG erklärt worden war, war voll besetzt. Überall an den Banketttischen saßen ausgelassene Touristen, die sich die nächtliche Rundfahrt zwischen dem Ableger am Bürkliplatz, dem Umkehrpunkt vor Rapperswil und zurück nach Zürich mit reichlich Kirschwasser versüßten. Die ersten Rentner hatten schon in der Höhe von Küsnacht das Tanzbein geschwungen. Nach dem Fondue fiel Bewegung zunächst schwer, aber Fondant und Schnaps beschwingte die Gesellschaft wieder. Von dem Attentat, das zwei Tage zuvor stattgefunden hatte, ließ sich hier niemand beeindrucken. Diese Menschen hatten den letzten Weltkrieg als Kinder erlebt. Außerdem München ’72, Mogadischu, 9/11. Warum sollten sie sich ihren Kurzurlaub in die Schweiz versauen lassen?
Die MS Uetliberg mit den betrunkenen Rentnern in ihrem Bauch hatte noch eine Dreiviertelstunde Fahrzeit zu absolvieren. Für Thien Hung Baumgartner bedeutete dies, dass es Zeit wurde, sich mit Denninger zu treffen. So war es mit Beat Steiner vereinbart.
Er hatte nicht lange gebraucht, ihn in der Menge auszumachen, obwohl der ihm den Rücken zugewandt hatte. Denninger hatte sich zwar nicht allzu sportlich gekleidet, er hatte sich ein kariertes Hemd angezogen und trug eine Frisur wie ein älterer amerikanischer Tourist, doch an dem Tisch mit den zusammengewürfelten Einzelgästen, die ohne Begleitung eines nordrhein-westfälischen Kegelclubs an Bord gegangen waren, fiel er unweigerlich auf. Im Kreise der alleinstehenden älteren Damen und des griesgrämigen Einbeinigen im Rollstuhl, der sich andauernd beschwerte, dass man auch schon auf schweizerischen Ausflugsschiffen nicht mehr rauchen durfte, stach seine straffe Körperhaltung geradezu hervor.
Er stand auf, zog eine hellgraue Outdoorjacke über und ging durch die Schleuse aus zwei hintereinander angebrachten Glasschiebetüren, die die kalte Winterluft draußen lassen sollte, auf die Plattform auf dem Achterdeck hinaus. Im Moment hielten sich dort keine Raucher auf, aber Thien war klar, dass sich das jederzeit ändern konnte. Also hinterher.
»Oh, mein Gott, Markus …«, stieß er leise hervor.
Markus Denninger war nicht tot, nicht im Höhlensystem der Zugspitze an jenem 7. Januar 2012 ertrunken. Er hatte zusammen mit einer Handvoll Gebirgsjäger und GSG9-Männer, die im Felsmassiv nach Kerstin Dembrowski gesucht hatten, überlebt. War zusammen mit diesen von der CIA gerettet und in Obhut genommen worden. Sie alle hatten neue Identitäten erhalten. Hatten vollkommen frei entscheiden dürfen, wo sie sich niederlassen wollten.
Keiner von ihnen hatte nach Deutschland zurückgewollt. Die meisten hatten die Chance genutzt, sich in Amerika anzusiedeln. Hatten sich gut dotierte und spannende Jobs in einer der unzähligen Unterorganisationen des Ministeriums für Heimatschutz geben lassen. Die Familien wurden nachgeholt. Mit dem Versprechen, dass die Schul- und Universitätsgebühren für die
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