Bluteis: Thriller (German Edition)
nicht direkt gegeben?«
»Weil er nicht danach gefragt hat. Außerdem ist er für mich ein mittlerer Beamter des Geheimdienstes. Diese Daten hier sehen nur die wirklich wichtigen Leute.«
Thien musste einen Lachanfall unterdrücken. »Und damit meinen Sie mich?«
»Ja, genau, Herr Baumgartner. Wir haben auch Informationen über Sie eingeholt. Auf welchen Wegen, muss Sie nicht interessieren. Und wenn Sie erfahren, was ich über Sie weiß, dann werden Sie verstehen, was Sie zu einer so eminent wichtigen Person in dieser Angelegenheit macht.«
Thien zog die Augenbrauen skeptisch nach oben, dann tippte er den Touchscreen des iPads an, und dessen Bildschirm wurde hell. Er sah jedoch nichts außer sechs Porträtfotos. Doch dann zuckte er zusammen, als ihm das Bild unten rechts ins Auge fiel, das von der Entführten, die aussah wie Sandra. Und in Wirklichkeit ja auch Sandra war.
»Schauen Sie sich die Bilder genau an, Herr Baumgartner«, sagte Sonndobler. »Merken Sie sich die Gesichter.« Und als wüsste er, auf welches der Fotos Thien gerade starrte, fügte er hinzu: »Das ist Frau Petuchowa. Natalija Petuchowa. Eine der wichtigsten Klientinnen unserer Bank. Sie ist der Grund, warum die anderen sieben Personen ebenfalls entführt wurden.«
Thiens Puls raste. Seine Hände zitterten.
»Geht es Ihnen gut, Herr Baumgartner?«
»Nur der Kaffee. Bin ich nicht gewohnt. Lassen Sie uns weitermachen.«
Donnerstag, 21. Februar, 7 Uhr 20
Im Roseggletscher
»Haben Sie nachgedacht, Natalija?« Kisi war wieder völlig lautlos in Sandra Thalers Eishöhle aufgetaucht.
Sandra schluckte den letzten Bissen des Brötchens hinunter, aus dem das Frühstück bestanden hatte, das irgendjemand vor einer guten Stunde durch den Spalt zu ihr hereingeschoben hatte.
»Was haben Sie sich überlegt, Natalija?«
Mein Gott, was soll ich denn sagen? Ich weiß ja nicht einmal, wer ich angeblich bin. Eine russische Oligarchin? Oligarchenfrau? Oligarchentochter? Was hat diese Natalija wohl angestellt, dass man sie hier festhalten will?
»Was wollen Sie hören, Kisi?«
»Was Sie denken, Natalija.«
»Ich denke, dass ich hier rauswill.«
»Und wohin möchten Sie? In Ihr Apartment über dem Central Park, Ihr Chalet in St. Moritz oder Ihre Ländereien im Sudan?«
»Was sollte ich dort wollen?«
»Nach dem Rechten sehen. Zusehen, wie Ihre Verwalter die Bauern von den Ufern des Nils vertreiben, damit Ihre Firma Mais für Biosprit anbauen kann.«
Darum geht es also. Halb Afrika wird derzeit aufgekauft. Und Kisi hält mich für eine von denen, die dieses Geschäft betreiben.
»Was ist dagegen zu sagen, wenn ich Arbeitsplätze in Ihrem Land schaffe?«, fragte Sandra und spielte ihre Rolle.
»Das ist nicht mein Land. Aber wie dem auch sei, es geht nicht darum, dass Sie in Afrika investieren, sondern wie Sie investieren, Natalija.«
»Ich – oder besser unsere Firma«, sagte Sandra, »wir tun nichts anderes, als internationale Investoren immer tun. Sie bringen Geld, entwickeln damit auf unser Risiko einen Wirtschaftszweig und ernten die Früchte. Zum Wohle der Einheimischen.«
»Falsch. In diesem Fall geht es nicht um den Aufbau einer Fabrik. Es geht um Land. Das Sie stehlen. Sie entwurzeln die Bauern, indem Sie sich zunutze machen, dass es in diesen Staaten keine Grundbücher gibt. Noch nie gegeben hat. Diese Menschen werden zu Slumbewohnern in den Städten. Und an die verkaufen Sie die Früchte ihres eigenen Landes, und zwar zu sogenannten Weltmarktpreisen, und so verdienen Sie noch einmal an Ihrem Raub. Und diese Weltmarktpreise bestimmen Sie selbst, da Ihre eigene Investmentfirma in New York die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse nach Belieben nach oben und unten bewegen kann. Doch das ist noch nicht das Ende Ihrer Gewinnmaximierung: Da Sie aus dem Getreide, das Sie auf dem afrikanischen Boden anbauen, Biosprit herstellen, sind Sie in den Emissionshandel eingestiegen. Sie verkaufen also ein virtuelles Gut, das auf den Äckern unserer Heimat wächst, über Ihre eigenen Verschmutzungsrechtehändler an die eigenen Fabriken.« Kisi redete sich in Rage. »Und auch das ist Ihnen nicht genug, liebe Natalija. Ihre Immobilienhandelsfirma in Luxemburg hat siebzig Prozent der von Ihnen in den letzten fünf Jahren erworbenen sudanesischen Flächen – das sind achthunderttausend Hektar – als Anlagevermögen in seiner Bilanz. Das heißt, eigentlich betreiben Sie die Landwirtschaft im Südsudan nur zu Modellzwecken. Sie warten, bis Ihr Beispiel
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