Bluterde
Augen, die sich tief in ihre Höhlen verkrochen hatten. Die rechte Gesichtshälfte schillerte in den Farben von Herbstlaub.
»Oh mein Gott!«
Ungläubig strich sie mit ihren Händen über die eingefallenen Wangen.
Tränen brannten hinter ihren Lidern. Sie riss sich von ihrem Spiegelbild los, ihr Blick fiel auf ein rosarotes Etwas am Rand des Waschbeckens. Eine Seife oder das, was davon noch übrig war. Sie kratzte den Glibber sorgfältig mit den Nägeln zusammen und roch lange daran. Mit einer ungelenken Bewegung riss sie sich das T-Shirt vom Leib, ignorierte den Schmerz in ihrer Schulter und die Blutergüsse über ihrem Schlüsselbein. Für einen Moment lauschte sie mit geschlossenen Augen dem Plätschern des Wassers, bis ein Klopfen sie aufschreckte.
»Ist alles okay bei Ihnen?«
»Alles okay, bin gleich fertig!«, gab sie zurück.
Immer mehr Wasser lief in das Waschbecken, schon waren die alten Seifenränder auf dem Emaille nicht mehr zu sehen. Sie tauchte mit beiden Händen ein und wusch ihr Gesicht, den Hals, den Oberkörper. Die letzten Seifenreste rubbelte sie sich in die Haare und spülte sie, so gut es ging, wieder aus. Sie zögerte kurz, dann griff sie nach dem Handtuch an dem Haken, das in gewaschenem Zustand hellblau gewesen sein mochte.
»Besser?«, fragte der Mann, als sie endlich aus dem Badezimmer kam. Lea fühlte sich alles andere als repräsentativ, aber die Katzenwäsche hatte ihr gutgetan.
»Danke.«
Die letzte Silbe hatte kaum ihre Lippen verlassen, da entdeckten ihre Augen den Tisch. Es war ein Beistelltisch, in dessen Mitte ein Teller stand, randvoll mit Keksen. Runde, eckige, gedrehte. Manche mit Schokoglasur, andere nur mit Hagelzucker bestreut. Sie stellte sich vor, wie sie die groben Körner vorsichtig abpickte und in ihrem Mund verschwinden ließ, das Süß auf ihrer Zunge schmolz. Der Speichelfluss setzte unmittelbar ein und sie musste mehrmals schlucken, um die Sintflut in ihrem Mund zu beherrschen. So funktioniert also Pawlow, dachte sie und zwang sich, ihren Blick abzuwenden. Der Mann hatte sie lächelnd beobachtet. Er schob ihr einen Stuhl hin und bedeutete ihr, Platz zu nehmen.
»Durst?«
Wie von Zauberhand erschien eine Dose Cola vor Leas Nase. Kondenswassertropfen liefen langsam an dem beschlagenen Metall nach unten. Sie nickte und wollte gerade danach greifen, aber der Fremde schob sie gerade so weit weg, dass sie ins Leere griff.
»Lassen Sie uns erst ein wenig reden.«
Alle Freundlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen.
»Worüber?«
»Warum Interpol seit einigen Tagen in Bukavu herumschnüffelt.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«
Er angelte sich die Coladose, nahm genüsslich einen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Wirklich nicht? Interessant. Meine Quellen behaupten etwas ganz anderes. Es heißt, Sie stecken Ihre Nase in Dinge, die Sie nichts angehen.«
Lea dachte fieberhaft nach und kam sehr schnell zu dem Schluss, dass es besser war, die Klappe zu halten. Sie senkte den Blick und starrte auf ihre dreckigen Schuhe.
»Für jemanden, der angeblich nur Affen schützen will, verfügen Sie über erstaunliche Informationen. Das hat einige Leute sehr nervös gemacht.«
Sie musste die Verständnislosigkeit, die sich über ihr Gesicht ausbreitete, nicht spielen. Welche »erstaunlichen« Informationen? Wovon sprach er? Glaubte der Kerl wirklich, dass Crocodiles Rolle im illegalen Coltan-Handel ein Geheimnis war? Oder die Mine im Kahuzi-Biega-Nationalpark? Aber noch bevor sie ihre Gedanken zu Ende führen konnte, setzte ihr Gegenüber wieder an.
»Wäre dieser durchgeknallte Crocodile nicht komplett ausgeflippt, wären Sie schon längst wieder in Deutschland und ich hätte Sie nicht an der Backe.«
Er sprang von seinem Stuhl und lief vor ihr auf und ab. Die Ader an seiner rechten Schläfe pochte zornig.
»Was soll ich jetzt mit Ihnen anfangen? Ich kann Sie nicht einfach gehen lassen! Genau genommen weiß ich auch nicht, warum Sie nicht schon längst mit einer Kugel im Kopf im Dschungel liegen. Das wäre für alle Beteiligten viel einfacher gewesen. Aber nein, irgendein Idiot beschließt, Sie nach Ruanda zu schaffen!«
Der Mann hatte sich derart in Rage geredet, dass ihn erst das Klingeln seines Handys stoppte. Während er übellaunig in das Telefon sprach, sickerten die Informationen nach und nach in Leas Gehirn. Sie war also in Ruanda. Ungeplant. Und sie hatte es nur einem Zufall zu verdanken, dass sie noch am Leben
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