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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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folgten ihr dichtauf. »Weiter, Reverend«, drängte sie. »Die Leute stehen schon Schlange.«
    »Die Schlange wird warten müssen, Alice«, erwiderte Tobias. »Sie sind die Nächste. Und dann ihre reizende Tochter. Guten Abend, mein Liebes.« Er streckte die Hand aus und strich Millie mit langen braunen Fingern übers Haar.
    »Machen Sie einfach mit, Reverend«, ließ sich eine zweite Frauenstimme vernehmen. Harry wandte sich um und sah, wie Jenny Pickup sich an ihnen vorbeiquetschte. »Wenn man das erste Mal zum Erntefest kommt, werden einem die Schuhsohlen mit einem alten Steinbrocken abgekratzt. Mein Großvater macht das schon seit sechzig Jahren so, er wird jetzt nicht damit aufhören.«
    »Soll mir recht sein«, willigte Alice ein. Millie noch immer auf der einen Hüfte, hob sie das rechte Bein, bis es einen vollendeten rechten Winkel zum linken bildete. Ihr Fuß schwebte direkt vor Tobias in der Luft. Er fasste mit einer Hand ihren Knöchel und rieb einen glatten Stein von der Größe einer Mango über ihre Sohle.
    »Alle Achtung«, bemerkte Harry, als Alice den Fuß wieder hinstellte, ohne ins Schwanken zu geraten.
    »Fünfzehn Jahre Ballettunterricht«, erwiderte sie. »Sie sind dran.«
    Harry sah Joe und Tom achselzuckend an, stützte sich auf Toms Schulter und bot Tobias seinen Fuß. Ein paar Augenblicke später war auch Tom, Joe, Millie und Gareth Fletcher der Fuß gekratzt worden, und Harry und die Fletchers traten in den Saal.
    »Das ist ja wie eine Waffenkammer«, stellte Gareth fest und sah sich um. Die Zahl der Waffen an den Wänden wurde mit jedem Neuankömmling größer. Hoch über den Sensen hingen Schrotflinten und Gewehre. Ein paar sahen antik aus, echte Sammlerstücke. Andere nicht.
    »Cool«, stieß Joe hervor. »Daddy, krieg’ ich –«
    »Nein«, sagte Alice.
    »Das hier war früher das Refektorium, wo die Mönche gegessen haben«, erklärte Jenny, die bei ihnen geblieben war. Sie trug ein enges, langärmeliges schwarzes Kleid. Irgendwie stand ihr das weniger gut als die legeren Sachen, die sie angehabt hatte, als sie und Harry sich kennengelernt hatten. »Als mein Dad klein war, war hier die Grundschule.« Sie zeigte auf die mit Schnitzereien verzierte Kanzel. »Das ist der alte Schulmeisterstuhl«, erklärte sie, ehe sie sich an Harry wandte. »Heute benutzen wir diesen Raum nur für Feiern. Schön, Sie angezogen zu sehen, Reverend.«
    Harry öffnete den Mund und hatte keine rechte Ahnung, was er sagen sollte.
    »Was macht die Frau da?«, wollte Tom wissen.
    Am gegenüberliegenden Ende des Saals war die Frau, die vorhin bei Sinclair und Tobias gestanden hatte, die Stufen des alten Schulmeisterstuhls hinaufgestiegen und mit irgendetwas auf ihrem Schoß beschäftigt. Um sie herum stellten Frauen die Kornhalme, die sie auf den Feldern aufgelesen hatten, in große wassergefüllte Kübel.
    »Das ist meine Schwester Christiana«, antwortete Jenny. »Sie ist jedes Jahr die Erntekönigin. Es ist ihre Aufgabe, das Strohpüppchen zu machen.«
    »Was ist denn ein Strohpüppchen?«, fragte Joe.
    »Das ist eine alte Bauerntradition«, erklärte Jenny. »Vor langer Zeit, bevor wir alle Christen geworden sind, haben die Menschen geglaubt, der Geist der Erde würde in dem leben, was auf den Feldern wächst, und dass er heimatlos werden würde, wenn die Ernte eingebracht wurde. Also haben sie aus den letzten paar Ähren von dem, was sie geerntet haben, das Strohpüppchen gemacht – eine Art Winterquartier für den Geist. Im Frühjahr wurde es dann wieder in die Erde gepflügt. Als Kind war ich immer neidisch auf Christiana, ich habe Dad angebettelt, mich doch wenigstens ein Mal Königin sein zu lassen. Er hat immer gesagt, wenn ich jemals so ein Strohpüppchen zustande brächte wie Christiana, dann würde ich Königin sein.«
    »Und, haben Sie’s geschafft?«, fragte Tom.
    »Nein, das ist verdammt noch mal unmöglich – Entschuldigung, Reverend. Ich weiß nicht, wie sie das anstellt. Wenn das Fest zu Ende ist, hat sie es fertig. Also, gehen wir was trinken.«
    Harry wurde zusammen mit den erwachsenen Fletchers auf den Tisch mit den Getränken zugelotst. Um sie herum füllte sich der Saal allmählich, und die Leute begannen, durch eine hölzerne Doppeltür in den Garten dahinter auszuweichen. Harry konnte das tiefe Türkisblau des Abendhimmels erkennen und mit Laternen behängte Obstbäume. Ein vierköpfiges Orchester mit Dudelsack und Geigen machte sich bereit.
    Entlang der einen Wand waren

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