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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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Jungen brüllten zu ihr hinauf und sahen voller Entsetzen, wie die Zweijährige auf dem schmalen Geländer das Gleichgewicht verlor und nach vorn kippte. Gerade als Joe losschrie, streckte Millie den Arm aus und packte das Geländer mit einer Hand. Gleichzeitig fanden ihre Füße, noch immer in rosa Partyschühchen, einen winzigen Halt auf einem schmalen Sims, das sich am Rand der Empore entlangzog.
    »Ruhe, ihr zwei, seid sofort still!«, zischte Harry, der zu ihnen zurückgekommen war. Tom bekam Joe zu fassen und zog seinen Bruder an sich. Er hatte gar nicht gemerkt, dass sie so gebrüllt hatten. Joe klammerte sich an ihn, und irgendwie schafften es die Jungen, mit dem Schreien aufzuhören.
    »Millie«, rief Harry, und Tom hörte, wie seine Stimme zitterte. »Halt still, Schätzchen, und schön festhalten. Ich komme und hole dich.«
    Dann schaute er nach beiden Seiten und schien eine Entscheidung zu treffen. Schließlich wandte er sich an die Jungen. »Holt die Kniekissen – die Betkissen«, wies er sie an. »Schnappt euch so viele, wie ihr könnt, und legt sie direkt unter ihr auf den Boden. Macht schon!«
    Tom konnte sich nicht bewegen. Er konnte den Blick nicht von Millie abwenden. Wenn er auch nur eine Sekunde wegschaute, würde sie fallen. Dann merkte er, wie Joe neben ihm umherzusausen begann. Sein Bruder hatte bereits drei Betkissen von ihren Haken in den Bänken genommen und sie unter Millie auf den Boden gelegt.
    Tom wirbelte herum und fing an, noch mehr Kissen aus der gegenüberliegenden Bankreihe zu holen. Nachdem er sechs Stück von den Haken gerissen hatte, schmiss er sie dorthin, wo Millie landen würde. Dann rannte er wieder zum Mittelgang. Dort blickte er hoch, positionierte sich genau unter den Pummelbeinchen und den rosa Schuhen seiner Schwester und machte sich daran, die Kissen zu einem weichen Teppich auszulegen. Wenn sie nur genug zusammenkriegen konnten, dann würden die Betkissen ihren Sturz dämpfen.
    Aus den Augenwinkeln sah Tom, wie Harry sich auf das Fenstersims zog und sich dann seitwärts auf das Geländer der Empore zuschob. Wie er höher hinaufkommen wollte, wusste Tom nicht, aber Harry kletterte in seiner Freizeit auf Berge – wenn irgendjemand das schaffen konnte, dann er. Tom musste sich einfach auf die Betkissen konzentrieren. Joe folgte seinem Beispiel und pfefferte die Kissen über die Lehnen der Bänke. So schnell, wie sie landeten, legte Tom sie neben die anderen. Millies Landematte wurde größer.
    »Nein, Schätzchen, nein!« Harrys Stimme klang gepresst von der Anstrengung des Kletterns. Und von seinem Bemühen, nicht in Panik zu geraten. »Bleib, wo du bist!«, rief er. »Halt dich fest, ich komme.« Tom hielt einen Moment inne und riskierte einen Blick nach oben. Harry hing wie eine riesige Spinne an den Schnitzereien der Täfelung, die die hintere Wand der Kirche bedeckte. Wenn er nicht abrutschte, wäre er in wenigen Sekunden am Emporengeländer und könnte drüberklettern. Noch eine weitere Sekunde, und er wäre bei Millie, und sie wäre in Sicherheit.
    Das waren Sekunden, die sie vielleicht nicht hatten. Denn Millie hatte Harry gesehen, der langsam näher kam, und wollte zu ihm. Sie hatte sich das Sims entlanggeschoben und war nicht mehr genau über den Betkissen. Und ihre kleinen Finger hatten doch gar keine richtige Kraft. Sie schluchzte heftig. Lange konnte sie sich nicht mehr halten. Gleich würde sie hinunterfallen. Und sie wusste es.

23
     
    Evi studierte Gillian Royles Krankenakte. Nachdem sie sie als Patientin angenommen hatte, waren ihr die Unterlagen zugeschickt worden, das war die übliche Vorgehensweise. Zum Glück hatte die Praxis von Gillians Hausarzt ihre Verwaltung als eine der ersten vollständig auf Computer umgestellt. Sogar die alten Unterlagen aus der Kindheit der jungen Frau waren eingescannt worden.
    Natürlich hatte sie die Akte bereits gelesen, vor ihrem ersten Termin mit Gillian. Gab es dort etwas, das sie übersehen hatte?
    »Er ist ein untreuer Dreckskerl«, hatte Gillian gesagt. »Mein Stiefdad war genauso.« Mehr als einmal hatte Gillian jetzt gereizt reagiert, wenn das Gespräch auf die Männer in ihrem Leben gekommen war. Etliche Aspekte ihres Charakters – ihr Zynismus, wenn es um Männer und Sex ging, ihr Gefühl, ein Opfer zu sein, eine Art unausgesprochene Überzeugung, dass die Welt ihr etwas schuldete –, all das ließ Evi vermuten, dass Gillian in ihrer Vergangenheit in irgendeiner Form missbraucht worden war.
    Evi

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