Bluternte: Thriller
eigene sein sollte. »Millie fällt.«
28
3. Oktober
»Sind die beiden okay?«, erkundigte sich Harry, der der Geschichte fasziniert gelauscht hatte.
Gareth zuckte die Achseln. »Na ja, sie sind alle ziemlich still. Tom und Joe reden nicht miteinander, aber beide lassen Millie nicht aus den Augen. Tom hat eine Fenstermacke, schaut ständig nach, ob sie auch zu sind, will wissen, wo die Schlüssel für die Schlösser sind.«
»Und er sagt, es war ein Mädchen? Das Sie alle beobachtet hat?«
Gareth nickte. »Er hat schon früher von diesem Mädchen gesprochen, aber wir haben einfach nicht besonders darauf geachtet. Hier im Ort gibt’s jede Menge Kinder, und Tom hatte schon immer eine blühende Fantasie.«
»Und wo war Alice, als …« Harry verstummte. Klang das etwa anklagend?
»In ihrem Atelier.« Entweder hatte Gareth nichts gemerkt, oder er hatte beschlossen, es zu ignorieren. »Sie hat an einem Porträt von dem alten Mr. Tobias gearbeitet. Er hat ihr mehrmals die Woche Modell gesessen, und sie will es bis Ende des Monates fertig haben. Sie hat Tom oben schreien gehört, aber bis sie da war, hatte er schon die beiden anderen aufgeweckt, und sie haben auch aus vollem Hals gebrüllt.«
»Gab’s irgendwelche Anzeichen für einen Einbruch?«, wollte Harry wissen. »Ist es möglich, dass Tom wirklich jemanden gesehen hat?«
Gareth schüttelte den Kopf. »Das kleine Fenster in der Toilette unten war offen, aber da kommt kein normal großer Mensch durch. Und ein Kind – selbst wenn eins mitten in der Nacht draußen allein unterwegs wäre – käme da nicht ran.«
Die beiden Männer hatten die Rückseite der Kirche erreicht. Sie blieben vor einer hohen, schmalen Tür stehen, die aussah, als wäre sie aus Eibenholz gezimmert. »Sind Sie sicher, dass Ihnen das nicht zu viel ist?«, erkundigte sich Harry. »Es ist doch nicht dringend. Wahrscheinlich sollten Sie …«
Gareth hob den Werkzeugkasten auf, den er mitgebracht hatte. »Das geht schon in Ordnung«, meinte er. »Die anderen sind spazieren gegangen. Joe wollte sich den Morell Tor ansehen. Ich habe gesagt, ich komme nach, wenn wir fertig sind.«
»Na ja, wenn Sie wirklich meinen.«
»Klar doch. Also, machen wir diese Krypta mal auf.«
Harry fand den richtigen Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. »Eigentlich ist das keine Krypta«, erläuterte er. »Mehr ein Keller. Vielleicht ganz praktisch als Abstellraum. Ich will nur herausfinden, ob ich einen Sachverständigen holen muss, um zu überprüfen, wie sicher es da drin ist.« Der Schlüssel ließ sich leicht drehen. Harry packte die Klinke.
»Und Sie wollen sich nicht ganz allein in dem gruseligen Keller umsehen«, bemerkte Gareth.
»Da haben Sie absolut recht. Mann, das Ding klemmt vielleicht. Ist bestimmt seit Jahren nicht mehr aufgemacht worden.«
»Ach, gehen Sie aus dem Weg, Reverend. Das ist was für Männer.«
»Von wegen, Kumpel, ich hab’s gleich«, wehrte Harry ab. »Na also.«
Die Tür schwang nach innen, und eine säuerlich riechende Staubblase platzte direkt vor ihnen. Harry blinzelte heftig. Gareth räusperte sich. »Junge, Junge, stinkt ganz schön«, stellte er fest. »Wissen Sie genau, dass da unten nichts Totes ist?«
»Genau weiß ich gar nichts«, erwiderte Harry, griff nach seiner Taschenlampe und trat auf die Wendeltreppe, die in den Keller unter der Kirche hinabführte. Die kalte Luft schien sich um seinen Nacken zu schmiegen. »Pflöcke und Knoblauch bereithalten.«
Der feuchte Geruch des Kirchenkellers wurde stärker, als die beiden Männer hinabstiegen. Bevor sie die Hälfte der Treppe hinter sich hatten, war Harry froh, dass er und Gareth Fleecepullover trugen. Nach zweiundzwanzig Stufen kamen sie unten an und leuchteten mit den Taschenlampen um sich. Die beiden Lichtstrahlen ließen gewaltige Steinsäulen und eine gewölbte Ziegeldecke sichtbar werden. Viel größer, als sie es beide erwartet hatten.
»Ich nehme alles zurück«, sagte Harry nach ein paar Sekunden des Schweigens. »Das hier ist doch eine Krypta.«
Hätte man Tom vor ein paar Wochen gefragt, so hätte er vielleicht gesagt, der Oktober sei einer seiner Lieblingsmonate. Denn im Oktober begannen die Bäume auszusehen wie kandierte Äpfel, und die gepflügten Felder hatten die Farbe von Bitterschokolade. Es gefiel ihm, wie die Luft auf der Zunge schmeckte, frisch und scharf wie ein Pfefferminzbonbon, und er fand dieses Gefühl der Vorfreude ganz toll, wenn erst Halloween, dann der Guy Fawkes Day *
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