Bluternte: Thriller
Sammelteller herum, und Harry schickte sich an, das Abendmahl zu reichen. Gestern Nachmittag hatte er alles vorbereitet, hatte den Wein geöffnet und dekantiert. Jetzt brauchte er ihn nur noch in den Kelch zu füllen. Vorsichtig zog er den Stopfen aus der Karaffe, goss ein wenig Wein in den Kelch und tat Wasser dazu. Dann nahm er die Hostien und legte sie auf den Silberteller. Er würde den Teller tragen und sie verteilen. Sinclair würde ihm mit dem Wein folgen.
Harry hob den Teller in die Höhe. Der Priester ist immer der Erste, der das Abendmahl empfängt. Als Nächste würden Sinclair und der Organist an der Reihe sein und dann der Rest der Gemeinde. Hinter sich konnte er hören, wie die Kollektesammler die Leute auf ihre Plätze wiesen.
»Der Leib Unseres Herrn Jesus Christus, der dir gegeben wurde, bewahre deinen Leib und deine Seele zum ewigen Leben.« Er nahm eine Hostie von dem Teller. »Nimm hin und iss im Angedenken daran, dass Christus für dich gestorben ist, und labe dich an Ihm in deinem Herzen durch den Glauben und voll des Dankes.«
Harry schob sich die Hostie in den Mund. Der Organist hatte sein Stück beendet und kam herüber, um seinen Platz neben Sinclair einzunehmen. In der Kirche war es still geworden. Harry konnte hören, wie die ersten Gemeindemitglieder sich am Altargeländer aufreihten. Er sollte wohl später bei Jenny und Mike anrufen und sich vergewissern, dass ihnen ihr erster Gottesdienst nicht zu schwergefallen war. Wenn nötig, würde er bei ihnen vorbeischauen. Er hob den Kelch. Roch er da etwas Merkwürdiges?
»Das Blut Unseres Herrn Jesus Christus«, sagte er, »bewahre deinen Leib und deine Seele zum ewigen Leben. Nimm hin und trink im Angedenken daran, dass Christi Blut für dich vergossen ward, und sei dankbar.« Er hob den Kelch an die Lippen. Die Sonne strömte von draußen durch das Fenster über dem Altar herein. Einen Augenblick lang sah der silberne Kelch ebenso blutrot aus wie sein Inhalt.
»Das Blut Christi«, flüsterte Harry. Das kalte Silber berührte seine Lippen.
Draußen flogen Raben um das Dach. Er konnte sie schreien hören. Im Innern der Kirche war alles still. Die Gemeinde schwieg und wartete darauf, dass er sich erhob und mit dem Sakrament begann.
Langsam, ganz langsam stellte Harry den Kelch wieder auf den Altar.
Eine weiße Leinenserviette lag gerade eben in Reichweite. Er packte sie und drückte sie sich gegen den Mund. Gleich würde er sich übergeben, jeden Moment konnte es so weit sein. Rasch griff er abermals nach dem Kelch und ging zur Sakristei, so schnell er es vermochte, ohne den Inhalt zu verschütten. Mit der Schulter drückte er die Tür auf, stieß sie dann mit dem Fuß hinter sich zu und schaffte es gerade noch rechtzeitig zum Waschbecken.
Rote Flüssigkeit spritzte über das Porzellan, während Harry sich bewusst wurde, dass er laut und vernehmlich würgte. Und dass die ganze Gottesdienstgemeinde ihn hören konnte. Er drehte den Kaltwasserhahn auf und ließ sich Wasser über die Hände laufen. Dann hob er sie ans Gesicht.
»Reverend, was ist denn los?«
Sinclair Renshaw war ihm in die Sakristei gefolgt. Harry formte mit den Händen eine Schale und ließ sie volllaufen. Dann hob er sie ans Gesicht und trank.
»Reverend, ist Ihnen übel? Was kann ich tun?«
Harry drehte sich um, nahm den Kelch und hielt ihn dem Kirchenvorsteher hin. »Ist das auch Tradition?«, erkundigte er sich. Seine Hand zitterte. Er stellte den Kelch wieder hin.
Sinclair warf einen kurzen Blick auf den Kelch, dann wandte er sich rasch um, ging zur Tür der Sakristei und machte sie zu. Daraufhin kam er zurück, bis er dicht vor Harry stand.
»Endet das Ganze immer so?«, wollte Harry wissen. »Samstagnacht lassen Sie das Blut in Strömen fließen, und am nächsten Tag trinken Sie es?«
»Was in aller Welt ist denn los?«, fragte Sinclair.
Harry zeigte auf den Kelch. »Das ist kein Wein«, sagte er. Seine Hand zitterte noch immer. »Das ist Blut. Und zwar nicht nur symbolisch – das ist echtes Blut.«
»Das kann nicht sein.«
»Kosten Sie selbst. Ich hab’s schon getan.«
Sinclair nahm den Kelch und trug ihn zum Licht. Er hob ihn ans Gesicht und atmete tief durch die Nase ein. Dann tauchte er den Zeigefinger in die Flüssigkeit und inspizierte ihn genau. Harry sah zu; es war ihm unmöglich, die Miene des Älteren zu deuten. Kurz darauf spülte Sinclair seine Hand unter dem Wasserhahn ab und wandte sich dann wieder zu ihm um. »Trinken Sie einen Schluck
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