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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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nicht? Sie waren seine Eltern, die Menschen, denen er mehr vertraute als irgendjemandem sonst auf der ganzen Welt. Auf den Gedanken, dass es manche Dinge gibt, die Eltern einfach nicht glauben können, kam er nicht.

32
     
11. Oktober
    »Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren …«
    Die Kirche war fast voll, und die Menschen aus Heptonclough scheuten sich nicht, von ihren Stimmen Gebrauch zu machen. Harry ließ den Blick über die versammelte Gemeinde wandern. Jenny Pickup stand neben ihrem Mann in der dritten Bankreihe von vorn. Ihre Miene war gefasst.
    Ein oder zwei Männer dagegen sahen ziemlich verkatert aus, und er fragte sich, wie viele von ihnen wohl an den Feiern des gestrigen Abends teilgenommen hatten. Rituelle Schlachtungen am Samstagabend und am nächsten Morgen in die Kirche. Nun, er lebte jetzt eben unter Bauern.
    Die Fletchers hatte er noch nicht ausfindig machen können. Alice hatte ihm versichert, dass sie den vergangenen Abend weit weg von Heptonclough verbringen würden, aber trotzdem, ihr Haus lag einfach zu dicht an der Scheune, die Dick Grimes als Dorfschlachthaus benutzte. Als er vor einer Stunde angekommen war, hatte Harry fünf Minuten damit zugebracht, die Straße hinauf- und hinunterzuwandern. Die Straße wird – wie soll ich sagen? – ein bisschen eklig sein, hatte Tobias gesagt. Entweder hatte es in der Nacht geregnet, oder es war gründlich saubergemacht worden. Von dem, was sich gestern Nacht hier ereignet hatte, war nichts mehr zu sehen.
    Die Hymne neigte sich dem Ende zu. Dort war Gareth, ungefähr auf halber Höhe des Mittelgangs, auf der linken Seite. Alice stand neben ihm. In der einen Hand hielt sie ein Gesangbuch, die andere lag auf Toms Schulter. Ihr Ältester schien starr auf seine Füße zu blicken. Weder er noch seine Eltern sangen mit.
    »Während der letzten drei Wochen hat man mir oft zwei Fragen gestellt.« Harry stand auf der Kanzel, und die meisten Gesichter waren ihm zugewandt; das war stets ein gutes Zeichen. »Die erste lautete: ›Und, schon eingelebt, Reverend?‹, und die zweite: ›Sie sind wohl nich’ auf’m Land aufgewachsen, mein Junge, wie?‹«
    Hier und da ertönte gedämpftes Kichern in der Kirche.
    »Die Antwort auf die erste lautet: ›Ja, vielen Dank, alle sind sehr freundlich zu mir.‹ Und die auf die zweite: ›Nein. Ich bin nicht vom Land. Aber allmählich fange ich an, zu verstehen.‹«
    In der vollbesetzten Kirche saßen nur drei Besucher in der vordersten Bank auf der linken Seite: Sinclair, sein Vater Tobias und seine älteste Tochter Christiana. Früher wäre dies die Familienbank der Renshaws gewesen. Im Großen und Ganzen war das noch immer so.
    »Wir alle können großen Trost aus dem Gefühl schöpfen, in einem geordneten Universum zu leben«, fuhr Harry fort. »Hier oben, zwischen den Hügeln, wo die Natur so eine große Rolle in unserem Leben spielt und wo die Jahreszeiten so viel von dem bestimmen, was wir tun, ist es vielleicht leichter, sich im Einklang mit der Welt zu fühlen, als es in unseren Städten und Metropolen der Fall sein mag.«
    In dem sanften Licht in der Kirche wirkten Christiana Renshaws flächige, ebenmäßige Gesichtszüge beinahe schön und hatten große Ähnlichkeit mit denen ihrer jüngeren Schwester. Sinclairs Älteste sah nicht Harry an, sondern einen Apfel in einer der Fensterdekorationen. Sie saß ein gutes Stück von ihrem Großvater entfernt.
    »Es gibt einen Grund dafür, dass die Bibelstelle, die ich gerade vorgelesen habe, zur Erntezeit, bei Taufen und Hochzeiten und sogar bei Beerdigungen so beliebt ist«, setzte Harry seine Predigt fort. »Bei wichtigen Gelegenheiten in unserem Leben werden wir gern daran erinnert, dass wir Teil eines großen Plans sind, dass eine Absicht dahintersteht. Und dass es für alles eine Zeit und einen Ort gibt. Unser heutiges Bibelzitat, Prediger Salomo, Kapitel drei, Vers eins bis acht, bringt das besser zum Ausdruck als jeder andere Bibeltext, der mir einfällt.«
    Gillian saß in der neunten Bankreihe, gleich hinter den Fletchers. Sogar aus dieser Entfernung konnte Harry sehen, dass ihr Haar frisch gewaschen war und dass sie Make-up trug.
    »Daher ist es recht eigenartig«, fuhr er fort, »dass der Rest des Buches der Sprichwörter jener Teil der ganzen Bibel ist, der am wenigsten verstanden wird.«
    Der Gottesdienst war fast zu Ende. Die Gemeinde sang die Hymne zur Gabenbringung, Dick und Selby Grimes, die beiden Kollektesammler der Kirche, trugen die

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