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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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Fassade, und noch dazu eine brüchige. Alices Hände hatten zu sehr gezittert, ihr Lachen hatte künstlich geklungen, und noch ehe zwanzig Minuten um waren, war sie zusammengeklappt und hatte gestanden, dass sie fürchtete, Tom könnte unter kindlicher Schizophrenie leiden.
    »Aber diese Stimmen …«, wandte sie jetzt ein.
    »Stimmen zu hören ist nur ein Symptom der Schizophrenie«, erwiderte Evi entschieden. »Es gibt noch eine ganze Anzahl andere, die Tom anscheinend alle nicht hat.«
    »Welche denn zum Beispiel?«, wollte Alice wissen.
    »Nun, zum einen scheinen seine emotionalen Reaktionen völlig normal zu sein. Ich habe keine Hinweise auf das gesehen, was wir als Denkstörung bezeichnen. Und abgesehen von seinem beharrlichen Festhalten an diesem Mädchen –das er mir gegenüber übrigens noch immer mit keinem Wort erwähnt hat – gibt es auch keine Anzeichen für wahnhaftes Verhalten.«
    Alice Fletcher interessierte sie, beschloss Evi im Stillen. Sie war weit weg von ihrer Heimat, also könnte man doch erwarten, dass es ihr noch schwerer fallen dürfte als dem Rest ihrer Familie, in Heptonclough heimisch zu werden. Die Frage war, wie viele von den Problemen der Kinder resultierten daraus, dass sie die Ängste ihrer Mutter spürten?
    »Selbst wenn im Kindesalter Schizophrenie diagnostiziert wird«, fuhr Evi rasch fort, »gehen dem fast immer andere Diagnosen voraus.« Sie fing an, an den Fingern abzuzählen: »Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen, bipolare Störungen, Zwangserkrankungen. Wissen Sie, was das alles –«
    »Ja«, fiel Alice ihr ins Wort. »Und das mit den Zwangsstörungen, das passt auch. Tom läuft jeden Abend durchs Haus und schaut immer wieder nach, ob alle Türen und Fenster verschlossen sind. Er hat eine Liste, er hakt alles nacheinander ab, und er geht nicht ins Bett, bis er sie durch hat. Manchmal steht er mitten in der Nacht auf und geht die Liste noch mal durch. Was soll das alles?«
    »Das weiß ich noch nicht«, erwiderte Evi. »Aber mir ist Toms Besorgnis um seine kleine Schwester aufgefallen. Joe teilt die übrigens, allerdings übernimmt er vielleicht auch nur Toms Ängste. Haben die Jungen irgendetwas in den Nachrichten gesehen, Sie wissen schon, irgendwas, weshalb sie im Augenblick besonders viel Angst um sie haben?«
    Alice überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. »Das bezweifle ich«, antwortete sie. »Sie sehen nur Kinderfernsehen. Ein paar Mal habe ich ihn in Millies Zimmer schlafend auf dem Boden gefunden.«
    Evi warf einen raschen Blick auf ihre Notizen. »Nur um noch mal kurz auf dieses Mädchen zurückzukommen«, meinte sie. »Weil nach allem, was Sie mir erzählt haben, der größte Teil dessen, was Tom zu schaffen macht, auf sie zentriert zu sein scheint. Ist es möglich, dass es irgendjemanden im Ort gibt, der ein bisschen seltsam aussieht oder sich vielleicht ein bisschen komisch benimmt? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?«
    Alice nickte. »Natürlich, und ich habe auch ein paar Leute gefragt. Nicht viele. Ich will nicht, dass alle Welt erfährt, was wir hier durchmachen, aber ich habe unter vier Augen mit Jenny Pickup gesprochen und mit ihrem Großvater Tobias. Die beiden wohnen schon ihr ganzes Leben lang hier. Sie haben noch nie von jemandem gehört, auf den Toms Beschreibung auch nur im Entferntesten passen würde.«
    Alice hielt kurz inne.
    »Außerdem«, fuhr sie dann fort, »spricht Tom über dieses Mädchen so, als wäre es kaum menschlich, ein Wesen, wie man es in Albträumen sieht. Das hier ist ein merkwürdiges Dorf, Evi, aber dass hier Ungeheuer hausen? Wie wahrscheinlich ist das?«

39
     
27. Oktober
    Harry näherte sich dem Ort. Die Steinhäuser wurden mit jedem Mal größer, wenn er um eine Biegung kam. Über seiner linken Schulter barst eine Rakete am Himmel. Er fuhr noch ein wenig langsamer. Schon immer hatte er Feuerwerk geliebt. Vielleicht würde er am 5. November, am Guy Fawkes Day, wieder aufs Moor hinausfahren, den Wagen abstellen und zusehen, wie die Raketen von Hunderten von Festfeuern aufstiegen, bis hin zu den Pennines, der Hügelkette im Osten.
    Der Asphalt machte Kopfsteinpflaster Platz, er bog um die letzte Kurve und fuhr in den Ort hinein. Goldene Sterne explodierten zu seiner Linken am Himmel, und er sah sie an und nicht die Kirche, als er anhielt und parkte. Dann schaltete er den Motor aus und stieg aus.
    Er hatte eines der ältesten Mitglieder seiner Gemeinde besucht. Mrs. Cairns war über

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