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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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laufen konnten.
    Und Harry würde sie im Rollstuhl sehen.
    Sie schloss den Wagen ab und begann den langsamen Marsch den Weg hinauf. Zwei Minuten lang schlurfte sie dahin und hielt den Blick fest auf den Boden gerichtet, um unebene Stellen rechtzeitig zu entdecken. Als sie anhielt, um Atem zu schöpfen, fiel ihr ein Schatten auf. Die Sonne zeichnete den Umriss der Abteiruine vor ihr auf das Gras. Sie konnte den Turm erkennen und die drei Bögen, die sich an der einen Seite des Hauptschiffs hinzogen. Sie konnte die gewölbte Lücke erkennen, wo einst das Buntglasfenster geleuchtet hatte. Was von dem Fenstersims übrig war, befand sich fünf Meter über dem Boden. Sollte dort wirklich jemand sitzen?
    Evi hielt mit dem Gehstock das Gleichgewicht, als sie sich umdrehte und die Ruine betrachtete. Was in Gottes …
    Lebensgroße Figuren, die richtige Kleider trugen, deren Köpfe jedoch aus Rüben, Kürbissen und sogar aus Stroh gefertigt waren, bevölkerten die Kirchenruine. Evi zählte rasch. Es mussten zwanzig oder mehr sein. Sie saßen in den leeren Fensterhöhlen, lagen bäuchlings über den Steinbögen. Eine war sogar um die Taille herum am Turm festgebunden worden und baumelte hoch über dem Boden. Evi konnte nicht widerstehen, sie trat einen Schritt näher und dann noch einen. Nach dem, was sie sehen konnte, waren es Guy-Fawkes-Puppen, und zwar außergewöhnlich gut gemachte. Keine hing platt und leblos da, wie es bei solchen Puppen normalerweise der Fall war. Die Körper waren fest, die Gliedmaßen richtig proportioniert. Sie sahen bemerkenswert menschlich aus, bis man in ihre Gesichter sah. In jedes war ein breites, gezacktes Grinsen hineingeschnitten worden.
    So ganz wohl war Evi nicht, als sie den Puppen den Rücken zukehrte und zum Haus der Fletchers hinüberschaute. Von wenigstens zwei Fenstern im Obergeschoss aus hätte man bestimmt einen guten Blick auf die frisch dekorierte Abtei. Tom Fletcher und sein Bruder würden dies hier vor sich sehen, wenn sie ins Bett gingen.
    Ihr linkes Bein sagte ihr, dass sie lange genug still gestanden hatte. Sie setzte den Stock vor und ging weiter den Pfad hinauf, wobei sie sich alle paar Sekunden umblickte.
    Ihr Gesicht war gerötet. Eine senkrechte Falte, die ihm bisher nicht aufgefallen war, zog sich über ihre Stirn. Auch ihr Haar war anders, glatt und dunkel. Es reichte ihr bis knapp über die Schultern und glänzte so sehr, dass es aussah, als wäre es nass.
    »Sie hätten vom Auto aus anrufen sollen«, sagte er. »Dann wäre ich rausgekommen, um Ihnen zu helfen.«
    Evis Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, aber die Stirnfurche war immer noch da. »Und trotzdem habe ich es geschafft«, erwiderte sie.
    »Stimmt. Kommen Sie rein.«
    Er trat zurück und ließ sie in die Sakristei treten. Sie ging zu den beiden Sesseln hinüber, die er dicht neben die Heizung gestellt hatte, und packte die Armlehne des einen. Langsam ließ sie sich nieder, klappte den Stock zusammen und legte ihn neben sich. Sie trug ein rotes Wolljackett, ein schlichtes schwarzes Top und schwarze Hosen, und sie hatte einen weichen, würzigen Duft mit in die Sakristei gebracht. Einen Hauch des Herbstvormittags, den Geruch nach Laub, nach Holzrauch, eine kühle Schärfe. Er starrte sie an.
    »Ich kann Kaffee machen«, erbot er sich, wandte ihr den Rücken zu und ging zum Waschbecken. »Oder Tee. Irgendwo gibt’s hier sogar Kekse. Alice kommt nie zu Besuch, ohne eine Packung mitzubringen.«
    »Kaffee wäre toll, vielen Dank. Kein Zucker. Mit Milch, wenn Sie welche haben.« Harry hatte vergessen, wie tief und schön ihre Stimme klang, wenn sie nicht sauer auf ihn war. Er warf einen raschen Blick hinter sich. Wie konnten Augen so blau sein? Sie waren so blau, dass sie beinahe violett waren, wie Stiefmütterchen in der Abenddämmerung. Er starrte sie schon wieder an.
    Er machte Kaffee für sie beide und lauschte auf das Rascheln hinter ihm, als sie ihre Aktentasche öffnete und Unterlagen herausholte. Einmal ließ sie einen Stift fallen, doch als er herumfuhr, um ihn aufzuheben, hatte sie ihn bereits zu fassen bekommen. Die rosige Farbe in ihren Wangen verblasste. Sein eigenes Gesicht fühlte sich viel zu heiß an.
    Er reichte ihr einen Becher, nahm seinerseits Platz und wartete.
    Harry sah an diesem Vormittag wie ein waschechter Geistlicher aus: ordentliche schwarze Kleidung, ein weißer Priesterkragen, blanke schwarze Halbschuhe. Auf dem Schreibtisch lag sogar eine Lesebrille.
    »Danke, dass Sie sich Zeit

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