Bluternte: Thriller
Evi, Gillian und die Fletchers – standen weiter hinten. »Was?«, fragte er und beugte sich erneut herab. »Was passiert gleich?«
»Ich glaube, die machen sich auf irgendeine waghalsige Nummer gefasst«, sagte sie. »Ich glaube, die meisten Leute hier wissen, was es ist und dass manchmal etwas dabei schiefgehen kann. Seit wir heute Abend hier angekommen sind, habe ich zwei Personen mit ziemlich schweren Verbrennungen im Gesicht gesehen. Und die Leute sind nervös. Schauen Sie sie doch an.«
Sie hatte recht. Paare waren enger zusammengerückt. Eltern hielten ihre Kinder dicht bei sich. Männer mit Biergläsern hatten aufgehört zu trinken. Alle Augen, außer Evis und seinen, starrten auf das Feuer. Auf den Kreis der Männer darum herum.
Sie warteten. Tom wusste nicht, worauf. Er hatte den Versuch aufgegeben, Fotos zu machen, er wollte nicht verpassen, was als Nächstes geschehen würde. Nicht weit entfernt begann ein Kind zu weinen – einen Moment lang dachte er, es wäre Millie. Noch drei Schritte, vielleicht auch vier, und die Knochenmänner würden im Feuer stehen. Sie waren doch aus Stroh und alten Lumpen gemacht, wie konnten sie …
Einer hatte Feuer gefangen. Ein Funke musste ihn getroffen haben, denn was eben noch eine Figur mit menschlicher Gestalt gewesen war, war jetzt eine Flammenmasse, die hoch in die Luft gereckt wurde.
»Wir ehren die Toten!«
Tom wusste nicht, wo der Schrei herkam, doch als er über das Moor hallte, wurde der brennende Knochenmann hoch in die Luft geschleudert. Er landete fast ganz oben auf dem Scheiterhaufen und war innerhalb von Sekunden mit dem Feuer verschmolzen. Irgendjemand weiter oben auf dem Moor, vielleicht auf dem Morell Tor, schoss abermals eine Rakete ab. Sie zischte in den Himmel hinauf, und es schien, als stiege die Seele des Toten empor.
Ein weiterer Knochenmann brannte und flog durch die Luft. Wieder eine Rakete. Dann ein dritter Knochenmann und ein vierter. Noch mehr Raketen. Die Menge sah zu, wie die Knochenmänner einer nach dem anderen Feuer fingen und auf den Scheiterhaufen geworfen wurden. Jedes Mal, wenn einer hoch in die Luft flog, ertönte derselbe Schrei.
»Wir ehren die Toten!«
Ein paar der Knochenmänner mussten Feuerwerkskörper in den Taschen gehabt haben, denn bunte Funken begannen in alle Richtungen aus dem Feuer zu schießen. Die Leute in der Zuschauermenge begannen zu kreischen und sich wegzudrehen. Direkt vor Tom hob sein Dad Joe von seinen Schultern und stellte ihn auf den Boden. Alice machte mit Millie in den Armen einen Schritt rückwärts, und Tom fühlte, wie sein Dad ihn von der Mauer zog. Dann stürzte das Feuer in die Erde.
»Was in …?«
Harry trat vor und ließ Evi bei der Mauer zurück. Flüchtig bekam er mit, wie Gareth Fletcher seine Familie anwies, sich nicht von der Stelle zu rühren. Die beiden Männer gingen ein Stück näher heran und stiegen dann auf den Zaun. Von hier aus konnte man das Geschehen besser überblicken.
»Ich glaube nicht, was ich vor mir sehe«, hörte Harry sich sagen.
»Wie zum Teufel haben die das geschafft?«, fragte Gareth.
Wo noch gerade eben das Freudenfeuer gelodert hatte, befand sich jetzt ein riesiges, klaffendes Loch im Boden. Aus dem Feuer war eine Flammengrube geworden. Farbige Funken von den Feuerwerkskörpern schossen in alle Richtungen daraus hervor, und Harry konnte noch immer etliche Umrisse in Menschengestalt ausmachen.
»Ich glaube, wir haben gerade einen Blick auf das Tor zur Hölle geworfen«, meinte Gareth.
Harry sah zu, wie die Männer, die die Puppen gehalten hatten, sich endlich von den Flammen abwandten. Die Zuschauer reichten ihnen Spaten, und sie begannen, Erde auf das Feuer zu schaufeln. Andere schlossen sich ihnen an, manche mit Spaten, andere mit bloßen Händen.
»Sie haben den Scheiterhaufen über einer Grube errichtet«, sagte Gareth. »Die müssen irgendeinen Boden darübergelegt und das Feuer darauf angezündet haben. Als das Fundament durchgebrannt war, ist das Ganze eingebrochen.«
»Sie begraben die Toten«, bemerkte Evi. Erschrocken drehte Harry sich um. Sie stand neben ihm auf dem Zaun. Einen Augenblick lang fragte er sich, wie sie das geschafft hatte, dann wurde ihm klar, dass eine Frau, die auf ein Pferd steigen konnte, wahrscheinlich auch auf einen Zaun klettern konnte. »Schaut doch, was sie tun, sie werfen Erde auf die Gebeine. Das machen wir bei einem Begräbnis.«
»Das ist das Abgefahrenste, was ich je gesehen habe«, knurrte Gareth. »Was
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