Blutfehde
gesehen haben?«
Genco wandte sich an die Geschworenen und lieferte ihnen eine sachliche Beschreibung des Tatorts. »Ich sah die Leiche einer Weißen, zirka Mitte dreißig, vollständig bekleidet, auf dem Rücken liegend. Sie war offensichtlich tot.«
Weitaus eloquenter als Tim Denton beschrieb er die grotesken Verfärbungen an ihrem schlanken Hals, die Zunge, die ihr aus dem Mund hing, und die punktförmigen Blutungen in ihren offen stehenden Augen.
Genco beschrieb im Detail, was er tat, um die Todesursache zu ermitteln und zu bestimmen, dass es sich um ein Tötungsdelikt und nicht um einen natürlichen Tod handelte. Die Ursache, der medizinische Befund für den Auslöser ihres Todes, war zwar jedem klar, der sich den Hals des Opfers besah, konnte aber erst durch die Autopsie rechtskräftig bestätigt werden.
Im Gegensatz zu anderen Fällen war es hier nicht so wichtig, den genauen Todeszeitpunkt, die Leichenstarre, die Totenflecke, Körpertemperatur und Augenhintergrundsveränderungen zu bestimmen. Durch die Uhrzeitangabe auf dem Digitalfoto, das beim Mittagessen entstanden war, die Anrufe von Amanda Quillians Handy in dem Moment, als sie sich mit ihrem Mörder konfrontiert sah, und den Notruf von Kate Meade war der Zeitraum schon genau eingegrenzt.
Also spannte Dr. Genco den Bogen von dem geschmackvoll eingerichteten Salon, in dem er den Leichnam der Frau zuerst gesehen hatte, zu der nüchternen Bahre in dem nach Formaldehyd riechenden Kellerraum des Leichenschauhauses.
Er beschrieb, wie er die Leiche fotografiert, ausgezogen, gewaschen und obduziert hatte. Er wusste mit Sicherheit, dass die letzte Mahlzeit der Toten ein Cobb-Salat mit Blauschimmel-Dressing gewesen war, und das, ohne die Rechnung des schicken Bistros gesehen zu haben, wo sich die Freundinnen zum Essen getroffen hatten. Dass er den Mageninhalt noch mit dem bloßen Auge erkannt hatte, sprach ebenfalls für einen kurz darauf folgenden Todeseintritt. Möglicherweise hatte der Genuss von zwei Gläsern Weißwein sie in ihrer Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt, sodass sie sich dem Angreifer gegenüber nicht mehr zur Wehr setzen konnte.
»Konnten Sie Amanda Quillians Todesursache nach ärztlichem Ermessen mit eindeutiger Sicherheit feststellen, Doktor?«
»Ja, Ms Cooper.«
»Würden Sie den Geschworenen bitte Ihre Schlussfolgerungen darlegen?«
»Mrs Quillian starb infolge von Asphyxie, durch Zudrücken des Halses oder anders ausgedrückt: Strangulation.«
»Was ist Asphyxie, Dr. Genco?«
»Das ist in der Tat ein weit gefasster Begriff für einen Zustand, der immer dann eintritt, wenn die Zellen keinen Sauerstoff mehr aufnehmen und transportieren und kein Kohlendioxid mehr abgeben können. Kein Körpergewebe kann ohne Sauerstoff auskommen. Das gilt insbesondere für das Gehirn, da es zwanzig Prozent der gesamten Sauerstoffmenge des Körpers verbraucht.«
»Gibt es mehrere Kategorien von Asphyxie?«
»Ja, in der Regel sind es drei. Erstens die chemische Asphyxie, zum Beispiel wird bei einer Kohlenmonoxid- oder Zyanidvergiftung das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Zweitens gibt es die Asphyxie durch Ersticken oder eine Blockierung der Luftröhre.«
»Wenn ich Sie hier kurz unterbrechen darf, Dr. Genco. Ist es korrekt, dass der Tod durch eine chemische Asphyxie oder durch Ersticken eine Folge von Gewalteinwirkung sein könnte?«
»Ja, Ms Cooper. Das stimmt unter gewissen Umständen. Aber in beiden Fällen kann der Tod auch auf einen Unfall zurückzuführen sein. Der Erstickungstod ist häufig durch das Opfer selbst verschuldet.« Genco nannte noch ein paar Beispiel für die Geschworenen. »Jemand erstickt möglicherweise, weil er versehentlich einen Gegenstand verschluckt hat, der die Luftröhre blockiert, beispielsweise einen Weinkorken oder eine Kugelschreiberkappe. Oder einfach auch einen Bissen Essen.«
Einige Geschworene nickten zustimmend.
»Dr. Genco, worin besteht die dritte Form von Asphyxie?«
»Im Zudrücken des Halses, Ms Cooper, in der Regel durch Strangulation.«
»Gibt es verschiedene Methoden der Strangulation?«
»Ja, auch hier unterscheiden wir drei Varianten: Erhängen, Erdrosseln und Erwürgen.«
»Können Sie bei einem Fall von Asphyxie durch Strangulation erkennen, ob es sich um einen Unfall oder um einen Mord handelt?«
Genco richtete seine Antwort selbstsicher an die Geschworenen, die am weitesten vom Zeugenstand entfernt saßen. »Meistens natürlich. Bei Tod durch Erhängen handelt es sich meistens
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