Blutfehde
»Vergiss ihn nie, hörst du?«
»Nie im Leben.«
»Dann gibt es nichts Besseres, als das für Joan und Jim zu machen. Aber danke, dass du gefragt hast.«
»Unter der harten Schale, die du im Gerichtssaal zeigst, bist du so ein Weichei«, sagte Nina, als Joan zurückkam, um sich noch einmal von uns begutachten zu lassen. »Hier kommt die Braut. Du siehst hinreißend aus. Leben Sie wohl, Ms Stafford, und willkommen, Mrs Hageville. Bis gleich.«
Wir hörten die ersten Takte der Musik. Ich umarmte die Braut ein letztes Mal und ging nach draußen. Im Zelt half mir Jim auf das Podest, und ich registrierte erfreut, wie viele unserer Freunde auf diese paradiesische Insel gekommen waren, um dem feierlichen Ereignis beizuwohnen.
Ich ließ meinen Blick über die Gäste schweifen, die sich zu der Braut umdrehten, als sie auf den provisorischen Altar zuschritt. Nina blinzelte mir zu, und ich sah, wie sich ein mir unbekannter Mann zu ihr hinabbeugte, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Joan und Jim sahen einander an und strahlten vor Glück, als sie neben ihm stehen blieb.
»Meine geliebten Freunde, wir sind heute, an diesem herrlichen Juniabend, hier auf dieser wunderschönen Insel zusammengekommen, um die Hochzeit von Joan und Jim zu feiern. Ihr hättet euch keinen passenderen Ort als Martha’s Vineyard aussuchen können, um Eure Ehe formell zu bekräftigen. Eure erste gemeinsame Reise führte euch hierher, wo ihr die traumhaft schöne Natur und die wohltuende Wirkung des Meeres genießen konntet.«
Ich verlas den kurzen Text, den ich für sie geschrieben hatte, und führte die Braut und den Bräutigam dann durch das klassische Ehegelübde - schlichte Worte, die der tiefen Verantwortung, die sie besiegelten, kaum gerecht wurden.
»…dich zu fragen, Jim, willst du Joan zu deiner Frau nehmen? Sie halten und achten, in guten wie in schlechten Zeiten, in Armut und in Reichtum, in Gesundheit und Krankheit, sie lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?«
Seine tiefe, sonore Stimme schallte durch das Zelt. »Ich will.«
Jetzt zückten alle weiblichen Gäste die Taschentücher. Nachdem Joan ebenfalls ihr Jawort gegeben hatte, steckten sich die Frischvermählten ihre Ringe an, und ich beendete die kurze Zeremonie. »Es ist mir eine große Freude, euch dank der mir verliehenen Vollmacht nun zu Mann und Frau zu erklären. Jim, du darfst die Braut jetzt küssen.«
Die Anwesenden standen auf und applaudierten, während sich das Brautpaar umarmte und zu den Klängen der Schlusshymne das Zelt verließ, dann verteilten sie sich auf die zwei großen Zelte, die zum Essen und Tanzen aufgebaut worden waren.
Champagnerkorken knallten, Kellner füllten unsere Gläser, und Jim brachte einen Trinkspruch auf seine bezaubernde Braut aus. Nina schlängelte sich durch die Menge in meine Richtung, nachdem sie alte Freunde begrüßt und kurz mit Mrs Stafford geplaudert hatte. »Du kannst dieses Talent in deinem Lebenslauf hinzufügen, Alex. Gut gemacht.«
»Danke.« Wir hoben unsere Champagnerflöten und stießen an. »Das ist noch nervenaufreibender als ein Eröffnungsplädoyer. Ich habe nur darauf gewartet, dass jemand aufsteht und Einspruch einlegt.«
»Mrs Stafford war kurz davor. Der Gedanke, dass Joan nach Washington ziehen wird, ist ihr unerträglich.«
»Mir auch. Aber mal was ganz anderes, wer ist denn dein neuer Freund, Schätzchen? Ihr habt während der Zeremonie ständig die Köpfe zusammengesteckt.«
»Der Arme kennt niemanden, also habe ich ihm erklärt, wer wer ist. Ich habe seinen Namen nicht verstanden, aber er und Jim kennen sich anscheinend schon ewig. Ist er dir aufgefallen? Ich hätte nicht gedacht, dass er dein Typ ist.«
»Und der wäre?«
»Arrogant. Unerreichbar. Egoistisch. Alles zusammen. Wer hat die Sitzordnung gemacht? Vielleicht kann ich die Platzkarten vertauschen«, sagte Nina. »Es lässt sich schwer sagen, ob er attraktiv ist oder nicht, stimmt’s? Aber das macht ihn nur interessanter.«
»Lass die Finger von Joans Tischordnung. Sie ist ganz genau durchdacht.«
Jims Freund stand nur ein paar Meter von uns entfernt und unterhielt sich mit zwei Journalisten, die ich gestern Abend kennen gelernt hatte. Nina hatte Recht, was sein Aussehen anging. Man hätte ihn nicht unbedingt als klassisch gut aussehend bezeichnet: Er hatte ein schmales, kantiges Gesicht mit einer langen, geraden Nase - einer römischen Nase, wie meine Mutter es nennen würde -, seine blaugrauen Augen schauten durch eine
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