Blutfehde
leichtes Opfer für jemanden, der sich dort herumtrieb.«
Alkohol ist in Amerika die meistverbreitete Droge. Glaubte man Trish Quillian, hatte sich Bex Hassett von ihrer Familie und ihren Freunden abgewandt und mit einigen Typen im Park eingelassen, die einen schlechten Einfluss auf sie ausübten. Falls sie aus freien Stücken Alkohol getrunken hatte - und laut rechtsmedizinischem Bericht hatten die toxikologischen Untersuchungen keine weiteren illegalen Substanzen nachgewiesen -, dann war sie zum Zeitpunkt ihres Todes möglicherweise betäubt, wenn nicht gar bewusstlos gewesen.
Mike hatte mir den Autopsiebericht aus der Hand gerissen, um ihn selbst gründlich zu studieren. Ich nahm seinen Ordner, um die Folgeberichte des Detectives zu lesen.
Die Beschreibung des Tatorts beinhaltete eine Bestandsaufnahme dessen, was in der näheren Umgebung von Bex Hassetts Leichnam gefunden wurde. Ein paar Meter entfernt lagen eine leere Flasche Courvoisier und mehrere Dosen Bier. Einige der DANN-Profile, die man von den Speichelspuren an der Brandyflasche erstellen konnte, stimmten mit dem genetischen Fingerabdruck der Toten überein. Man hatte sie auch mit dem Profil mehrerer Straßenkinder in der näheren Umgebung abgeglichen, aber keine weiteren Übereinstimmungen gefunden.
»Du kannst das alles kopieren.« Ich rieb mir die Augen. »Vielleicht bin ich nur müde und traurig, was mit dem armen Mädchen passiert ist, aber können wir die ganze Sache vertagen?«
Mike blätterte schneller. »Hilf mir, das hier zu verstehen.«
»Was?«
»Die Notizen des Detectives zu dem Geständnis. Reuben DeSoto, neunzehn Jahre alt, Stammgast im Park.« Mike stand auf. Offensichtlich beschäftigte ihn etwas, das er in der Akte gelesen hatte. »Zwei der anderen Penner haben ihn verpfiffen und behauptet, dass er in der Mordnacht der Letzte war, der mit dem Mädchen getrunken hatte.«
»DeSoto hat den Mord an Rebecca Hassett gestanden?«
»Nicht so schnell, Coop.« Mike blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das Blatt, als versuchte er die Worte zu entziffern. »Er sagte, er kenne sie vom Park. Sie habe sich seit ein paar Wochen mit seiner Clique herumgetrieben, hätte aber mit keinem von ihnen was gehabt. Aber in jener Nacht wollte Reuben mit ihr schlafen. Sie hatte getrunken. Aber nur Bier, sagt er.«
»Keinen Brandy? Ihre DANN war doch auf der Courvoisier-Flasche?«
»Ja, aber dafür hätte Reubens Budget wohl nicht gereicht. Er sagt, dass er sie rumkriegen wollte, aber sie weigerte sich. Sie sei gar nicht betrunken gewesen, sie habe nur ein paar Schluck Bier getrunken. Er sagt, er hätte sich auf sie gelegt und versucht, in sie einzudringen.« Mike sah mich an. »Hätte das nicht Spuren am Körper hinterlassen müssen?«
»Eigentlich schon, außer sie war so betrunken, dass sie keinen Widerstand leisten konnte. Dann wären ihre Muskeln so entspannt gewesen, dass sie auch keine inneren Verletzungen gehabt hätte. Aber trotzdem müsste man Schamhaare auf ihrem Körper oder ihren Klamotten finden, auch wenn keine Penetration stattgefunden hat. Wenn es stimmt, was er sagt, dann müssten zumindest Spurenbeweise vorhanden sein.«
»Entweder hatte Reuben Halluzinationen oder der Rechtsmediziner braucht einen Nachhilfekurs.«
»Warum? Was stimmt nicht?«
Mike klappte den Ordner zu und griff wieder zu dem Aktendeckel, den ich auf den Tisch gelegt hatte. »Der Typ, der seit über zehn Jahren als Tatverdächtiger gilt, während der Fall hier im Regal verstaubt, also dieser Reuben behauptet, er hätte Bex Hassett umgebracht. Er sagt, er hätte sie mit ihrem eigenen Haarband erdrosselt, als sie zu schreien anfing.«
»Aber die Bilder von ihrem Hals -«
»Willst du auf diesem lausigen Polaroid erkennen, was für Spuren das an ihrem Hals sind? Im Tatortbericht ist von keinem Haarband die Rede, und auch der Autopsiebericht erwähnt kein Strangwerkzeug.«
Ich war ungeduldig und wollte gehen. »Ja, und?«
»Du hättest die Akte zu Ende lesen müssen. Hör dir das an. Reuben hatte einen abogado, weil gegen ihn auch noch ein Verfahren wegen eines Einbruchs lief. Er verkrümelte sich in die Dominikanische Republik, und der Anwalt schrieb dem Polizeipräsidenten einen Brief, in dem er behauptete, dass das Geständnis erzwungen war. Deshalb hat der Dödel wahrscheinlich nicht weiter ermittelt.«
»Warum?«
»Der Anwalt hat sich auch bei der Dienstaufsichtsbehörde beschwert. Für den Detective war es wahrscheinlich einfacher, den Fall schleifen zu
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