Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
Clint sich die Zeit nahm, den Fisch kennenzulernen. Der Fisch starrte die ganze Zeit auf Morgan und streckte die Hand nach ihr aus. Idiotin. Großer Fehler. Zu denken, dass Morgan, bloß weil sie noch so jung war, die Rettung sein könnte. Morgan musste jedes Mal lachen, wenn die Opfer das taten. Es war einfach so erheiternd, ihre Gesichter zu sehen, wenn Morgan sich neben sie kniete, ihnen ach so sanft die Haare zurückstrich und dann kalten Stahl auf ihre Wangen presste, genau unterhalb der Augen.
Es war Macht. Pure, berauschende Macht. Einfach herrlich, wie das Gefühl durch die Adern schoss. Diesen Rausch hatte Morgan erstmals erlebt, als sie sich damals in Kansas eine streunende Katze vorgenommen hatte. Danach hatte sie sich damit amüsiert, die Fische zu manipulieren, die sich Eltern nannten. Aber die Spiele, die Clint ihr beibrachte? Die eröffneten Morgan eine ganz neue Welt. Es war eine Welt, von der sie nie genug bekommen konnte. Nicht, solang es Fische im Meer gab.
Kapitel 14
In der kleinen Wache im ehemaligen Dairy Treat angekommen, zeigte Lucy dem freiwilligen Helfer, der hinter dem Tresen saß, an dem Kunden früher ihr Softeis bestellt hatten, ihren Ausweis. Er betätigte den Türöffner und Lucy betrat die ehemalige Küchenstation. Man hatte wirklich nur die nötigsten Veränderungen vorgenommen. Sicher war das Budget extrem begrenzt gewesen. Letzten Endes existierte diese Nebenstelle nur, um die Angst der Wähler zu beruhigen, nachdem mitten unter ihnen ein Monster gewütet hatte. Es war ja nicht unbedingt so, dass New Hope eine kriminelle Hochburg war. Aber mit sieben Hilfssheriffs konnte nicht einmal annähernd so etwas wie nachhaltige Präsenz aufgebaut werden. Im besten Fall schaute der Sheriff auf seiner Patrouille hier einmal täglich kurz vorbei.
Die weißen Kachelwände hatte man beibehalten, ebenso die Tresen aus Edelstahl. Die Tür des ehemaligen begehbaren Kühlraums war durch eine stählerne Sicherheitstür ersetzt worden, um eine behelfsmäßige Arrestzelle zu schaffen. In die obere Hälfte der Tür zur Vorratskammer hatte man ein Fenster eingesetzt. Verhörzimmer, vermutete Lucy. Sie sah, dass Jenna sich schon häuslich eingerichtet und einen Schreibtisch, einen Computer, einen Hilfssheriff und offensichtlich die einzige Kaffeekanne in Beschlag genommen hatte. Vom Kaffeebecher des Hilfssheriffs ganz zu schweigen. Jenna und Hilfssheriff William Bob steckten die Köpfe zusammen und schienen ganz in ihr Gespräch vertieft. Als sie Lucy wahrnahmen, fuhren sie abrupt auseinander.
»Hey, Lucy!« Jenna begrüßte sie überschwänglich. »Du kennst Hilfssheriff Bob, nicht wahr?«
Bob hatte sich in den vier Jahren kein bisschen verändert. Er war noch immer glattrasiert und seine Zähne waren quietschweiß. Aber sein Lächeln galt nicht Lucy. Selbst als er sich aufrichtete und Lucys Hand schüttelte, war seine gesamte Aufmerksamkeit bei Jenna.
»Schön, Sie wiederzusehen, Ma’am. Lassen Sie mich wissen, ob ich irgendetwas für Sie tun kann.«
Mit einer Handbewegung schickte Jenna ihn fort. Er drehte sich um, ging die paar Schritte zum Tresen, nahm eine Kaffeetasse und drückte sie Lucy in die Hand. Dann verschwand er durch die Sicherheitstür hinüber in den Empfangsbereich.
»Hat er gerade Ma’am zu mir gesagt?«, fragte Lucy und streckte Jenna die Kaffeetasse hin, damit sie ihr eingoss. Das sollte die Postbeamtin daran erinnern, wer hier die Chefin war.
»Reg dich nicht auf. Er hat es auch zu mir gesagt. Während ich noch fragen wollte, ob er schon volljährig ist. Aber verdammt, diese Pennsylvania-Bauernjungs sind schon eine besondere Sorte Mensch. Jetzt kann ich die Anziehungskraft nachvollziehen.«
Lucy schüttelte den Kopf. Bob war so alt wie Jenna, und das Leben hier draußen, der tägliche Umgang mit den Leuten, die er zu beschützen hatte, hatte ihn wahrscheinlich mehr über die Wirklichkeit gelehrt, als die Postbeamtin jemals mitbekommen hatte, und das, obwohl sie in der großen Stadt aufgewachsen war.
»Freut mich, dass du einen guten Vormittag hattest, denn ich bin im Begriff, dir den Nachmittag zu versauen.«
»Was ist passiert? Hast du Caine gefunden?«
»Jawohl. Genau gesagt, er hat mich gefunden. Und siehe da, genau das war der Sinn der ganzen Aufregung. Ein fehlgeleiteter Versuch, Kontakt mit mir aufzunehmen.« Sie sparte sich die Einzelheiten. Adams persönliche Probleme hatten hier nichts zu suchen.
»Super. Und wo ist er? Im Wagen?«
Lucy antwortete nicht.
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