Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutflüstern: Novelle (German Edition)

Blutflüstern: Novelle (German Edition)

Titel: Blutflüstern: Novelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
Vom Netzwerk:
gewöhnt ist. Ich hob den Blick und bemerkte verlegen, dass Pierce genauso rot war wie ich und sorgfältig darauf achtete, seinen Mantel geschlossen zu halten.
    »Wenn Ihr das Jahr 1999 schreibt, bin ich vor ungefähr einhundert und siebenundvierzig Jahren gestorben«, erklärte er dem Boden.
    Armer Mann , dachte ich mitleidig. Jeder, den er kannte, war wahrscheinlich tot oder so alt, dass er sich nicht an ihn erinnern konnte. »Wie bist du gestorben?«, fragte ich neugierig.
    Pierce sah mich durchdringend an. »Ich bin eine Hexe, wie Ihr auch«, flüsterte er, obwohl Robbie und ich uns in den letzten Minuten ständig lautstark das Wort »Zauber« um die Ohren gehauen hatten. Aber vor dem Wandel konnte es einen umbringen, Hexe genannt zu werden.
    »Du wurdest gefangen?«, fragte ich und rutschte auf meinem Sitz nach vorne, als wir in eine glatte, steile Straße einbogen. Seine geheimnisvolle Aura hatte mich gefesselt. »Vor dem Wandel ? Was haben sie dir angetan?«
    Pierce legte den Kopf schräg, um gefährlich zu wirken. »Ein grauenhafter Mord. Ich bin nicht gesonnen, es Euch zu erzählen, wenn Ihr von zartem Charakter seid, aber ich wurde in die Erde eingemauert, während mein Atem noch in mir war. Lebendig begraben unter einem Engelswächter, der jederzeit bereit war, mich niederzustrecken, sollte ich wieder erscheinen.«
    »Du wurdest umgebracht!«, sagte ich und spürte einen Anflug von Angst.
    Robbie lachte leise, und ich schlug ihm aufs Bein. »Halt die Klappe«, sagte ich, dann verzog ich das Gesicht, als ich Pierce’ fassungslosen Gesichtsausdruck sah. Wenn er seit hundertsiebenundvierzig Jahren tot war, hatte ich in seinen Augen wahrscheinlich gerade geflucht wie ein Droschkenkutscher.
    »Tut mir leid«, sagte ich, dann versteifte ich mich, als der Bus anhielt. Weitere Leute stiegen ein, unter anderem auch eine wütende, unglückliche Frau mit einem weiteren Packen dieser Flugblätter. Sie sprach kurz mit dem Busfahrer, und er grummelte ein wenig, bevor er sie weiterwinkte und die Bremse löste. Dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen, während die Frau ein eingeschweißtes Flugblatt auf den Boden des Ganges klebte und zwei weitere an die Decke.
    »Nehmen Sie ein Flugblatt«, verlangte sie immer wieder, als sie langsam im Bus nach hinten ging. »Sarah ist seit zwei Tagen verschwunden. Sie ist ein süßes kleines Mädchen. Haben Sie sie gesehen?«
    Nur auf jedem Fernsehkanal , dachte ich, während ich den Kopf schüttelte und das purpurfarbene Papier entgegennahm. Ich warf einen Blick darauf, als sie auch Robbie und Pierce ein Blatt gab. Das Bild war nicht dasselbe wie auf dem anderen Flugblatt. Auf diesem sah man im Vordergrund die Kerzen eines Geburtstagskuchens und im Hintergrund einen unscharfen Stapel Geschenke. Sarah lächelte lebenslustig und der Gedanke, dass sie irgendwo allein im Schnee herumirrte, war kaum besser erträglich als der Gedanke daran, was jemand, der krank genug war, sie zu entführen, ihr wohl gerade antat.
    Ich konnte es nicht mehr ertragen und wandte den Blick ab. Die Frau verließ den Bus an der nächsten Haltestelle, um auf den folgenden zu warten, und ich stopfte das Papier zu dem ersten Flugblatt in meine Tasche, als der Bus wieder anfuhr.
    »Ich weiß, wer sie hat«, sagte Pierce leise und aufgeregt. Ich starrte ihn an. Die Scheinwerfer der Gegenspur huschten
über sein Gesicht und beleuchteten seine eifrige, irgendwie beängstigende Miene.
    »Fahrer!«, schrie er und stand auf. Ich drückte mich beunruhigt in meinen Sitz. »Stoppen Sie die Kutsche!«
    Alle sahen uns an, und der Großteil der Leute lachte. »Setz dich!« Robbie schubste ihn sanft, und Pierce fiel auf seinen Sitz zurück, wobei sich sein Mantel für einen Moment öffnete. »Du wirst noch dafür sorgen, dass wir rausfliegen.«
    »Ich weiß, wo sie hingebracht wurde!«, rief er, und ich warf einen besorgten Blick auf die anderen Fahrgäste. Der Fahrer dachte allerdings sowieso schon er wäre betrunken und alle anderen lachten sich wegen der kurzen Peepshow ins Fäustchen.
    »Sprich leiser«, sagte Robbie und setzte sich neben ihn. »Die Leute werden dich für verrückt halten.«
    Ich konnte sehen, wie Pierce seine nächsten Worte runterschluckte, bevor er seinen Mantel enger um sich zog. »Er hat sie«, sagte er dann und wedelte mit dem Papier vor Robbies Gesicht herum. »Der Mann, dieses … Biest, das mich ermordet hat. Genau die Kreatur, die ich zur Rechenschaft ziehen sollte. Er hat noch jemanden

Weitere Kostenlose Bücher