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Blutflüstern: Novelle (German Edition)

Blutflüstern: Novelle (German Edition)

Titel: Blutflüstern: Novelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
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trat vor mich, um den intensiven Blick des Mannes zu blockieren. »Es tut mir wirklich leid. Wir hatten nicht vor … was auch immer wir getan haben.« Er warf einen Blick zurück zum Platz und schlang zitternd die Arme um den Körper. »Das sollte nicht passieren. Du wirst wieder verschwinden, wenn die Sonne aufgeht.«
    Der Fremde sagte immer noch nichts und starrte nur auf seine nackten Füße.
    Über den Lärm hinweg erklang ein aggressives »Hey! Du!«
    Ich sog zischend den Atem ein. Robbie drehte sich um, und selbst der Mann schien besorgt.
    »Wir brauchen ein Taxi«, sagte mein Bruder, packte meinen Arm und schubste den Mann vorwärts.
    Ich entwand mich seinem Griff und ging in die andere Richtung. »Wir kriegen mindestens fünf Blocks weit kein Taxi. Wir brauchen einen Bus.« Robbie starrte nur und ich schrie ihn genervt an: »Da hinten ist der Busbahnhof! Den können sie nicht dichtmachen! Komm schon!«
    »Stopp!«, schrie ein Mann und wir rannten los. Na ja,
Robbie und ich rannten los. Den Kerl schleppten wir eher zwischen uns mit.
    Wir schlugen Haken um die Leute mit Kindern, die den Platz bereits verließen, und hielten auf den Busbahnhof zu. Er war einen ganzen Block lang und von hier fuhren Busse in alle Ecken von Cincy und die Hollows auf der anderen Seite des Flusses. Niemand schien zu bemerken, dass der kleine Mann barfuß und Robbie viel zu leicht gekleidet war. Überall wurde gesungen und gelacht.
    »Da«, keuchte Robbie und zeigte auf einen Bus, der nach Norwood fuhr und gerade starten wollte.
    »Warten Sie! Warten Sie auf uns!«, schrie ich und winkte, und der Fahrer hielt an.
    Die Türen öffneten sich, und wir stürzten hinein. Robbie hatte den Mann vor mir die Treppen hinaufgestoßen und ließ sich zurückfallen, als der Fahrer wegen der Tickets ausflippte. Ich stand hinter ihm und kochte vor mich hin, während Robbie nach seinem Geldbeutel suchte. Endlich ging er mir aus dem Weg und ich schob meine Dauerkarte in den Automaten.
    »Hey!«, sagte der Fahrer und deutete mit dem Kinn in den hinteren Teil des sonst leeren Busses. »Wenn er kotzt, verklage ich euch. Ich habe die Nummer deines Bus-Passes, Mädel. Glaub nicht, dass ich es nicht tue.«
    Mir rutschte das Herz in die Hose. Robbie und ich drehten uns beide um. Der Mann saß allein neben einer Haltestange und umklammerte sie mit beiden Händen, als sich der Bus in Bewegung setzte. Seine nackten Füße wirkten auf dem dreckigen, mit Schneematsch überzogenen Gummiboden irgendwie seltsam. Er saß breitbeinig
da, um die Balance zu halten, und enthüllte so seine nackten Unterschenkel.
    »Ähm«, sagte Robbie und bedeutete mir, nach hinten zu gehen. »Er ist okay.«
    »Das stimmt besser mal«, grummelte der Fahrer und beobachtete uns in seinem großen Rückspiegel.
    Jeder gefahrene Block brachte uns weiter vom Fountain Square weg und ein Stück näher zu unserem Haus. »Bitte«, sagte ich und bemühte mich, nicht allzu verzweifelt zu wirken. »Wir versuchen doch nur, ihm nach Hause zu helfen. Es ist Sonnenwende.«
    Die Miene des Fahrers wurde weicher. Er nahm eine Hand vom Lenkrad und wühlte neben sich an der Tür herum. Dann gab er mir mit einem leisen Knistern eine Plastiktüte. »Hier«, meinte er. »Wenn er sich übergibt, sorg dafür, dass er es in die Tüte tut.«
    Ich atmete erleichtert auf. »Danke.«
    Ich stopfte die Tüte in eine Tasche und wechselte einen besorgten Blick mit Robbie. Zusammen gingen wir ans Ende des Busses. Mit langsamen Schritten näherten wir uns vorsichtig dem Mann, während die Lichter der Stadt verblassten und es im Bus dunkler wurde. Glücklicherweise waren wir die einzigen Fahrgäste, wahrscheinlich, weil wir in ein überwiegend von Menschen bewohntes Viertel fuhren. Zur Sonnenwende überließen die Menschen die Straßen den Inderlandern.
    Der Blick des Mannes schoss zwischen Robbie und mir hin und her, als wir uns ihm gegenüber hinsetzten. Ich leckte mir über die Lippen und rückte näher an meinen Bruder heran. Ihm war kalt und er zitterte, aber trotzdem ging ich nicht davon aus, dass er seinen Mantel zurückfordern
würde. »Robbie, ich habe Angst«, flüsterte ich, und der kleine Mann blinzelte.
    Robbie zog seine Handschuhe aus und packte meine Hand. »Es ist okay.« Er atmete einmal tief durch, dann sagte er lauter: »Entschuldigen Sie, Sir?«
    Der Mann hielt eine Hand hoch, als wollte er um einen Moment Geduld bitten. »Ich bitte um Entschuldigung. Welches Jahr schreiben wir?«
    Mein Bruder warf mir

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