Blutflüstern: Novelle (German Edition)
Euch sagen zu wollen, dass der Beruf, die Hilflosen zu beschützen, zu gefährlich sei? Ich lebe dafür.«
Ich fühlte eine Verbindung zwischen uns und hatte das Gefühl, dass er wirklich verstehen konnte. Pierce allerdings schenkte mir nur ein trockenes Lächeln. »Habe dafür gelebt«, korrigierte er sich säuerlich.
Weil ich es so gewohnt war, meinen Berufswunsch verteidigen zu müssen, reckte ich das Kinn. »Ich werde jedes Jahr stärker«, sagte ich, als hätte er mir widersprochen. »Ich meine, wirklich stärker.«
»Ihr wart krank?«, fragte Pierce, scheinbar wirklich besorgt.
Ich nickte und fügte dann, weil ich das Gefühl hatte, dass er Ehrlichkeit verdient hatte, hinzu: »In gewisser Weise bin ich immer noch krank. Aber es geht mir viel besser. Das sagen alle. Meine Ausdauer wird immer besser. Ich habe Kurse besucht, um nicht wieder einzubrechen, und ich war schon fast vier Jahre nicht mehr im Krankenhaus. Ich hätte sterben müssen, also sollte ich mich wirklich nicht beschweren, aber ich will das tun, verdammt noch mal. Sie können mich nicht wegen meiner Gesundheit ausschließen. Ich habe den schwarzen Gürtel und alles.«
Ich brach ab, nicht nur, weil ich bemerkte, dass ich die erste verständnisvolle Person, die ich je gefunden hatte, volllaberte, sondern weil ich dabei auch noch fluchte. »Tut mir leid«, sagte ich und rammte wieder meine Stiefelspitze in den Teppich. »Für dich war das wahrscheinlich Fäkalsprache.«
Pierce gab ein leises Geräusch von sich, weder anklagend noch bestätigend. Er musterte mit leichter Verwunderung meinen Bauch. »Ihr seid voller Leidenschaft«, sagte er schließlich, und ich lächelte erleichtert. Ich wusste, dass
er bei Sonnenaufgang verschwinden würde, aber ich wollte ihn trotzdem nicht entfremden. Ich mochte ihn, auch wenn er ein Geist war. Oh Gott, ich werde mich nicht in ihn verknallen .
»Ich stehe in den Medizinbüchern, weißt du?«, sagte ich, um ihn mein loses Mundwerk vergessen zu lassen. »Die einzige Überlebende des Rosewood-Syndroms.«
Er zuckte überrascht zusammen und wandte den Blick von Robbie ab, der sich immer noch mit dem Beamten herumstritt. »Ihr … Rosewood-Syndrom? Ihr habt überlebt? Ich habe zwei Schwestern und einen Bruder dadurch verloren, verschieden, bevor sie drei Monate alt waren. Seid Ihr sicher, dass es das war, was Euch plagte?«
Ich lächelte, weil in seinen Worten kein Schmerz mitklang. Er hatte anscheinend damit abgeschlossen. »Das war es. Wahrscheinlich liegt es an der modernen Medizin oder an diesen ganzen Kräutertränken, die sie mir im Wunsch-camp für sterbende Kinder gegeben haben. Ich war drei Jahre dort, bevor sie mich rausgeschmissen haben, weil ich nicht mehr so schnell starb.«
Das Erstaunen in seinem Blick war deutlich zu sehen, als er sich ungläubig zurücklehnte. »Ihr seid ein Wunder, Mistress Hexe.«
Ich schnaubte und zog meine Fingernägel über den Stoff des Sessels. »Ich bin noch keine echte Hexe. Ich habe meine Lizenz noch nicht. Du kannst mich Rachel nennen.«
Pierce versteinerte plötzlich. Als ich aufsah, entdeckte ich, dass er mich anstarrte. Plötzlich verstand ich, und mein Gesicht wurde heiß. Dreck, ihm meinen Vornamen zu verraten war wahrscheinlich unglaublich intim. Es war offensichtlich, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte.
Peinlich berührt konzentrierte ich mich auf Robbie. »Ich, ähm, es tut mir leid, dass ich dich aus deiner Ruhe gerissen habe«, sagte ich. »Ich habe versucht, meinen Dad zu rufen. Weißt du, ich hatte diese Wette mit Robbie. Ich habe gesagt, dass Dad, mein Vater, wollen würde, dass ich mich bei der I. S. bewerbe, und Robbie hat gesagt, dass Dad, falls er noch am Leben wäre, wollte, dass ich einen höheren Abschluss in Erdmagie mache. Also hat Robbie mich herausgefordert, Dad zu rufen und zu fragen. Falls ich es schaffen sollte, hatte ich versprochen, das zu tun, was Dad sagt; wenn nicht, wollte ich Robbie begleiten und vier weitere Jahre an der Uni verbringen. Ich war nicht davon ausgegangen, dass er in Frieden ruht. Wahrscheinlich sollte ich froh sein«, sagte ich und fühlte mich schuldig. »Aber ich wollte wirklich dringend mit ihm sprechen.«
»Miss Rachel«, sagte Pierce, und ich hob den Kopf, als er meine Hand ergriff. »Weint nicht um Euren Vater. Ich nehme an, er ruht in Frieden, beobachtet Euch und wünscht Euch alles Gute.«
»Das weißt du nicht«, sagte ich stur und entzog ihm meine Hand. »Du steckst im Fegefeuer fest.«
Aber
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