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Blutflüstern: Novelle (German Edition)

Blutflüstern: Novelle (German Edition)

Titel: Blutflüstern: Novelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
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seinen Arm und zog ihn nach drinnen. »Und mach die Tür zu, bevor die ganze Wärme verschwindet.«
    Ich schaltete das Flurlicht an, und Pierce blinzelte. Ich hasste die grüne Farbe, in der meine Mom den Flur und das Wohnzimmer gestrichen hatte. Bilder bedeckten die
Wände bis zur Küche: Fotos von mir und Robbie, Ausschnitte aus unserem Leben.
    Ich warf einen Blick zurück zu Pierce, der immer noch die Lampen anstarrte, sich aber offensichtlich bemühte, nichts zu sagen. Ich unterdrückte ein Lächeln und fragte mich, wie lange er es noch aushalten würde, nicht beeindruckt zu wirken, und wann seine Neugier die Oberhand gewinnen würde.
    »Ihr habt so viele Teppiche«, sagte er schließlich und ahmte meine Bewegungen nach, als ich mir die Füße abtrat.
    »Danke«, sagte ich und zog meinen Mantel aus.
    Endlich erreichte sein Blick die Wände, und er streckte eine Hand aus. »Und Fotografien. In Farbe.«
    »Du kennst Fotos?«, fragte ich überrascht, und er nickte.
    »Ich habe mich fotografieren lassen«, sagte er stolz, dann berührte er einen Rahmen. »Seid Ihr das? Es ist wunderschön«, sagte er voller Ehrfurcht. »Die Miene, die der Künstler eingefangen hat, ist atemberaubend. Keine von Gottes Landschaften sah jemals so schön aus.«
    Ich sah kurz auf das Bild, das er so ehrfurchtsvoll berührte, und wandte dann den Blick mit gemischten Gefühlen wieder ab. Es war eine Nahaufnahme meines Gesichts vor Herbstlaub. Meine Augen waren so grün und lebendig wie die Schöpfung, und meine Haare verstärkten noch die Herbstschattierungen der Vegetation um mich herum. Ich war damals gerade erst aus dem Krankenhaus zurückgekommen, was man an meinem dünnen Gesicht und meiner bleichen Haut erkennen konnte. Aber mein Lächeln machte mich wirklich schön, das Lächeln, das ich meinem Dad geschenkt hatte, als er auf den
Auslöser drückte; ein Dankeschön für die Freude, die uns ein einfacher Tag bereitet hatte.
    »Mein Dad hat es gemacht«, sagte ich, ohne es anzusehen. »Komm in die Küche«, meinte ich dann und wischte mir die Augen, bevor er bemerkte, dass sie feucht waren. Ich hätte vor ihm sterben sollen, nicht andersrum.
    »Ich weiß nicht, wie lange meine Mom unterwegs sein wird«, sagte ich laut, als ich seine Schritte hinter mir hörte. »Aber wenn wir uns einfach holen können, was wir brauchen, und dann wieder verschwinden, ist es sogar besser. Es ist einfacher, sich hinterher verzeihen zu lassen, als um Erlaubnis zu bitten …«
    Pierce trat langsam in den Raum. Er zögerte an dem beschichteten Tisch und betrachtete die tickende Uhr, den kalten Ofen und die Spüle, während ich meine Tasche und den Mantel auf einen Stuhl fallen ließ. »Ihr und Eure Mutter seid allein?«, fragte er.
    Überrascht über das Maß an Verwunderung in seiner Stimme zögerte ich. »Ja. Robbie ist von der Westküste zu Besuch, aber er muss nächste Woche zurück.«
    Er riss seine leuchtend blauen Augen von der Decke los. »Kalifornien?«
    »Oregon.«
    Pierce sah wieder zum kalten Küchenherd und erriet offensichtlich anhand Kanne abgestandenen Cranberry-Tees darauf, wofür er gut war. »Eure Mutter sollte dafür belobigt werden, dass sie sich allein um Euch gekümmert hat.«
    Wenn er nur wüsste, wie oft es anders herum gewesen war. »Das sollte sie, nicht wahr?«, sagte ich, während ich zur Kaffeemaschine ging und hineinsah. Sie war frisch aufgefüllt. »Willst du einen Kaffee?«
    Pierce zog seinen Mantel aus und drapierte ihn sorgfältig über eine Stuhllehne. Er kontrollierte den Sitz der nicht vorhandenen Krawatte, dann bewegte er die Arme, als wollte er testen, wie warm es war. »Ich bin gesonnen Ja zu sagen, aber reicht dafür unsere begrenzte Zeit?«
    Ich legte einen Schalter um, und die Kaffeemaschine nahm den Betrieb auf. Mir gefiel seine umständliche Art zu sprechen. Es ließ ihn irgendwie fein klingen. »Jau. Willst du mir auf dem Speicher helfen?«
    Ohne die Antwort abzuwarten ging ich den anderen Flur entlang, der in den Rest des Hauses führte. Pierce folgte mir. »Da ist das Badezimmer«, sagte ich, als wir daran vorbeikamen. »Mein Zimmer liegt am Ende des Flurs und Moms ist gegenüber. Robbie hat das vordere Zimmer, obwohl es inzwischen mehr ein Lagerraum ist.«
    »Und die Diener leben auf dem Speicher?«, fragte er, als ich unter der Ausklappleiter anhielt.
    »Diener?« Ich starrte ihn entgeistert an. »Wir haben keine Diener.«
    Pierce sah so überrascht aus, wie ich mich fühlte. »Aber die Teppiche, die

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