Blutfrost: Thriller (German Edition)
Bier und seinen Jägermeister zu bringen. Dieser Mann war so unglaublich primitiv: sein Verhalten, seine Kleidung, ja sogar sein Name. Tommy Karoly, Gewohnheitsverbrecher, liebt Hotdogs, Kaffee und Kuchen und Brøndby. Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt, versuchte aber, seine blöde Frage an mir abprallen zu lassen – allerdings ohne viel Erfolg. Zweihundertundfünfzig Obduktionen pro Jahr murmelte ich vor mich hin und lächelte jedem, der mir entgegenkam, freundlich zu.
Auf dem Rückweg zum Institut tätschelte ich wieder mein Auto und versprach ihm, dass wir bald nach Hause fahren würden, und als ich die Schlüsselkarte in das Schloss steckte, sah ich vor meinem inneren Auge erneut, wie Fyn Nielsen den tonnenschweren Polizeibericht auf meinen Tisch legte.
Ich hatte in diesem Moment die E-Mails beantwortet, die im Laufe der Nacht gekommen waren, und musste anschließend all die Leute zurückrufen, die am Tag zuvor bei meiner Sekretärin angerufen hatten. Der Morgen war ein perfekter Zeitpunkt für derart leidige Aufgaben, denn für alles andere war ich da noch zu müde.
Er hatte vorsichtig an die Tür geklopft, hatte sich dann in seinen gut sitzenden, schicken Kleidern in mein Büro geschlichen und beinahe geflüstert: »Entschuldigen Sie die Störung.«
»Ich bitte Sie«, hatte ich geantwortet und war aufgestanden. »Was kann ich denn für Sie tun, möchten Sie einen Kaffee?«
Er hatte den Kopf geschüttelt. Sein Anliegen steckte anscheinend in der Mappe, die er in den Händen hielt und dann diskret auf meinen Couchtisch legte.
»Wenn Sie Zeit haben, könnten Sie da vielleicht mal einen Blick reinwerfen?« Er nickte in Richtung des Polizeiberichts. »Ihr Fachgebiet ist doch SIDS. Ich habe Ihnen eine Zusammenfassung geschrieben, die liegt ganz vorne. Da steht auch, was genau Sie sich ansehen sollen.«
So in etwa war unser Gespräch verlaufen, da war ich mir ziemlich sicher, obwohl ich nie bereit wäre, Geld auf etwas zu setzen, das vor zehn Uhr morgens geschehen war. Dann hatte Fyn Nielsen seine Hände auf meine Schultern gelegt, den Kopf zur Seite geneigt und mich gefragt:
»Geht es Ihnen besser, Maria?«
»Vielen Dank.« Ich war mir nicht ganz sicher, auf was er anspielte, war aber dankbar für die Fürsorge. Wenn er doch mein Vater wäre, dachte ich mit einem seltsam weichen Teil meines ansonsten so harten Gehirns. Fyn Nielsen war die Freundlichkeit in Person, leider aber nur gut zehn Jahre älter als ich, sodass ich mir diese Vaterspielchen wirklich sparen konnte. Er nickte und ließ langsam seine Hände wieder sinken, dann blinzelte er mir zu, schlich sich diskret nach draußen und ließ mich mit all meinem neuen, nicht-existenten Expertenwissen zurück.
Verätzungen und SIDS. Mal sehen, für was ich sonst noch Expertin werden würde?
SIDS war die Abkürzung für Sudden Infant Death Syndrom, auch plötzlicher Kindstod genannt. Ich hatte zwar tatsächlich vor einer halben Ewigkeit meine Doktorarbeit über dieses Thema geschrieben und auch ein paar Fälle obduziert, war aber alles andere als eine Expertin auf diesem Gebiet. Da wussten hierzulande andere besser Bescheid.
Es war schon nach sechs, als ich wieder ins Institut ging.Die Beleuchtung auf dem Flur wirkte gedämpft, und das Gebäude war bis auf zwei Menschen, die in ein Gespräch vertieft langsam vom hinteren Ende her auf mich zukamen, menschenleer. Von weitem sahen sie aus wie Nkem und der Leiter der Rechtsmedizin, die eine Gestalt sehr schwarz, die andere groß und breit. Als ich mein Büro aufschloss, sah ich Fyn Nielsens Mappe auf dem Couchtisch liegen. Ich setzte mich hin und blätterte etwas abwesend durch den Bericht, sah aber gleich, dass ich ihn mit nach Hause nehmen musste, wollte ich mich wirklich in ihn vertiefen. Ich zündete eine Cecil an und klemmte sie zwischen meine Lippen, denn ich brauchte beide Hände, um die schwere Mappe zu tragen, und machte mich auf den Heimweg.
8
Zu Fuß stieg ich in den zweiten Stock und öffnete die Tür meiner Wohnung, wo ich von meiner fetten, schwanzlosen Jammerkatze begrüßt wurde, die mir lauthals verkündete, dass ihr Fressnapf schon lange leer war. Ich füllte ihn mit Trockenfutter, wechselte das Wasser, öffnete mir eine Flasche Wein und zündete mir eine Cecil an. Dann setzte ich mich mit einem Schälchen Erdnüsse in die Küche und begann zu lesen. Schon nach wenigen Minuten hatte ich verstanden, worum es ging.
Ganz in der Nähe von mir, im hippen Ärzteviertel am Hunderupvej,
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