Blutfrost: Thriller (German Edition)
ein Monster, das seine Kinder umbringt. Please, helfen Sie mir, damit das nicht wieder geschieht.
– E
Was war denn das?
Ich richtete mich im Stuhl auf und las die E-Mail noch einmal. Sollte das ein Witz sein? Ich las sie ein drittes Mal, und dann stank mir die Sache plötzlich gewaltig. Der, der Ihnen am nächsten steht . Stand mir überhaupt jemand nah?
Alles war relativ, also: Wer stand mir am nächsten? Als Erstes kam mir Nkem in den Sinn, aber sie hatte keine Kinder. Ihr Mann hatte sie verlassen, weil ihre Gebärmutter, wie bei vielen nigerianischen Frauen, voller Zysten war. Und in ihr ein Monsterzu sehen, war schlichtweg undenkbar. Monster. Überhaupt ein seltsames Wort. Es sah irgendwie verkehrt aus. Und wer um alles in der Welt war »E«? Ich ging blitzartig alle Menschen durch, die ich kannte und deren Namen mit E begannen, doch da klingelte nichts. Das Mysterium, wer mir am nächsten stand, quälte mich noch viel mehr. Wenn ich richtig informiert war, wusste nur Großvater von Daniels und meiner Verwandtschaft. Wenn man sich ausschließlich auf die DNA beschränkte, stand mir Daniel zweifellos am nächsten. Mir lief ein Schauer über den Rücken, und die Erinnerung an den Abend in der Notaufnahme meldete sich. Die kleine Frau hatte apathisch dagestanden und geschrien, dass ihr Kind ganz braun war. Ohnmacht? Schock? Und Daniel hatte sich stumm hinter seinen Händen versteckt. Hatte er …? Ich schlug im Telefonbuch nach und stellte schnell fest, dass in Odense nur ein Daniel T. Sommer registriert war, und der teilte sich die Telefonnummer und Adresse mit einer Eva. Und sie wohnten im Hunderupvej und damit in meiner unmittelbaren Nachbarschaft. Erneut lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich starrte den Namen an. War Eva »E«? Irgendwie konnte ich das nicht glauben. Daniel war sicher ein Monster, aber er tötete nicht seine eigenen Kinder. So etwas tat er nicht. Mich zu quälen war eine Sache, das bedeutete allerdings noch lange nicht, dass er auch seine Kinder umbrachte. Wie viele sollte er davon denn überhaupt haben? Wieder sah ich die Szene vor mir. Die hysterische Mutter, die neben dem Untersuchungstisch stand. Daniel, der auf dem Stuhl hockte und sich versteckte. Ich kannte mich nicht sonderlich mit dem normalen menschlichen Gefühlsleben aus, aber würde ein Mann, der seine Frau liebt, nicht versuchen, sie zu trösten? Würde er nicht seinen Arm um sie legen? Machte man das nicht in Krisensituationen wie dieser? War es tatsächlich Daniels Frau, die mir geschrieben und ummeine Hilfe gebeten hatte? Hatte sie Angst vor ihrem Mann, der ihr Kind zu ermorden versucht hatte? Sein eigenes Kind? Ich musste Großvater fragen, er musste wissen, wie viele Kinder Daniel hatte und ob sie noch am Leben waren. Ein bisschen Kontakt musste er doch zu seinen Enkeln und früheren Schwiegertöchtern haben. Ich griff zum Hörer, um Großvater anzurufen, doch genau in diesem Moment klingelte der Apparat durchdringend. Es war der Rollstuhlmann. Ich setzte mich aufs Sofa, während ich seiner tiefen, weichen Telefonstimme lauschte. Und wegen mir hätte er ewig so weiterreden können. Leider hatte ich viel zu wenig Zeit. Die Sekretärinnen hatten mir schon mehrere orangefarbene Zettel auf den Schreibtisch geklebt, sodass ich irgendwann schweren Herzens auflegen musste. Ich sah auf meine Uhr. Vor zehn Minuten hätte ich einen der jungen Ärzte bei seiner ersten Obduktion begleiten sollen. Verdammt. Erst nachmittags um fünf hatte ich wieder Ruhe genug, um die E-Mail noch einmal zu lesen und eine Antwort zu schreiben:
Liebe E,
Schade, dass Sie mir Ihren Namen nicht verraten wollen, aber Sie werden wohl Ihre Gründe haben. Wenn Sie mir ein bisschen genauer sagen, worum es geht, verstehe ich vielleicht, was Sie mir mitteilen wollen, und dann werde ich mein Bestes tun, Ihnen zu helfen.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Krause
Ich drückte mir selbst die Daumen, dass sie mir antwortete. Bald. Bevor ich nach Hause ging, rief ich Großvater an. Er meldete sich, sagte aber, dass er jetzt nicht sprechen könne, weil der Tierarzt da sei, um Gråmis einzuschläfern. »Nur eine ganz kurze Frage: Weißt du, ob eines von Daniels Kindern gestorben ist?« Er lachte laut auf. »Nein. Reicht dir das als Antwort? Kommst du mich bald mal wieder besuchen?« »Natürlich. Sobald ich kann.« »Und die Schwarze, die du so magst, bringst du die mal mit?« »Ich kann sie fragen«, sagte ich. »Sie wird sicher begeistert sein, mal eine
Weitere Kostenlose Bücher