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Blutfrost: Thriller (German Edition)

Blutfrost: Thriller (German Edition)

Titel: Blutfrost: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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– kaustisches Soda, Ätznatron oder Natronlauge – bestanden alle aus Natriumhydroxid. Dreifach konzentrierter Salmiakspiritus hatte einen ph-Wert von dreizehn. Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
    Im Laufe der Zeit hatte ich mit allen Formen von Kindesmisshandlung zu tun gehabt und wurde immer wieder von Notaufnahmen und Ambulanzen kontaktiert, wenn ein Verdacht auf Kindesmisshandlung vorlag. Solche Taten geschahen weitaus häufiger, als man glaubte, und sie waren jedes Mal gleich grausam und unverständlich. Dieser Fall aber war schlichtweg unbegreiflich. Allein der Gedanke an den Geruch von Rohrreiniger ließ meine Nasenschleimhäute schmerzen und brannte sich in mein Gehirn ein.
    Beide Eltern hatten eindeutig ausgesagt, dass die Verletzung noch nicht da gewesen war, als sie das Kind schlafen gelegt hatten. Ebenso klar und definitiv hatten sie zu Protokoll gegeben, dass niemand sonst im Haus gewesen war, als das Kind geschlafen hatte, also in der Zeit von 12.00 bis 14.00 Uhr. Trotzdem war es aus technischen Gründen essentiell, dass dieser Zeitraum auch noch auf andere Weise eingeschränkt wurde. Also wollten sie, dass ich – die ich nicht die geringste Ahnung von Verätzungen hatte – etwas Entscheidendes beitrug, das den Aussagen der Brandverletzungsexperten des Odenser Universitätshospitals widersprach und noch dazu vor Gericht Bestand hatte. Als könnte ich zaubern oder die Welt auf den Kopf stellen. Was glaubten die eigentlich? Ich schob die Mappe irritiert weg und schaufelte weiter Erdnüsse in mich hinein. Dachtenach und rauchte. Was hatte eigentlich SIDS damit zu tun? Der plötzliche Kindstod war doch etwas ganz anderes, Herr Fyn Nielsen.
    Ja, also lieben Sie Kinder.
    Ach, tue ich das?
    Diese stereotype Meinung kam wohl immer auf, wenn man eine Doktorarbeit über das Thema plötzlicher Kindstod schrieb. Dabei war ich nicht kinderlieb. Das merkte ich jedes Mal, wenn ich einer dieser herumschreienden Rotznasen begegnete, die noch dazu potthässlich waren und die ich am liebsten ausstopfen und ummodellieren würde. Zumindest sagte ich das immer, wenn ich richtig hart wirken wollte, was seit dem Tod meiner Tochter häufiger vorgekommen war.
    Ja, ich liebe Kinder.
    Und welche?
    Meine eigenen, verdammt! Ich vermisse sie so schrecklich!
    Das Gefühl traf mich ständig wie ein Nadelstich ins Hirn – zwei-, drei-, zehn-, sechzehnmal am Tag, und dann kniff ich die Augen zusammen und versuchte mich mit ganzer Macht auf das zu konzentrieren, was ich gerade machte: Schreib jetzt den Obduktionsbericht, trenn den Bauch auf, setz dich an den Computer, füll das Schema aus, antworte dem Mann, geh!
    Ich hatte Sehnsucht. Eine grausame, physisch spürbare Sehnsucht, die wie eine ätzende Säure durch meinen Körper strömte. Und dieses Sehnen hörte nicht auf, es war unmenschlich und machte es mir unmöglich, mich in meinem Körper wohlzufühlen. Von allen verständigen und unverständigen Menschen auf dieser Welt war ich vermutlich die Letzte, die jemals verstehen würde, wie Eltern ihre Kinder misshandeln konnten. Das widersprach jedem Urtrieb, und jeder einzelne Fall schien die Welt für einen Moment aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich sah diese Kinder oft, denn viele von ihnen kamenin die Rechtsmedizinischen Institute, wenn die Verletzungen – oder Morde – untersucht werden sollten, wie jetzt auch bei diesem kleinen Mädchen. Wie konnte man eine Zweijährige derart hassen, dass man sie solch unmenschlichen Schmerzen aussetzte und ihren Körper für immer verunstaltete? Sie dürfte in ihrem Alter noch nicht viel gesagt haben. War sie eines dieser Kinder, die ihre Eltern mit unaufhörlichem Weinen zum Wahnsinn trieben? Aber dafür war sie eigentlich zu alt. Warum um alles in der Welt waren solche Kinder nicht bei mir oder Nkem? Wir hätten unsere langen Arme um sie geschlungen und sie vor allem Bösen beschützt. Irgendwo in dem Bericht der Brandwundenexperten hatte gestanden, dass die Narben des Mädchens niemals verschwinden würden, weder die am Ohr noch die großflächigen Narben auf der Brust oder an Schultern und Armen.
    Inzwischen hatte ich die halbe Flasche Wein, die ich mir täglich zu trinken erlaubte, längst geleert und näherte mich dem Flaschenboden.
    Ärzte! Daniel war Arzt, ich war Ärztin, Bonde Madsen war Arzt. Und keiner von uns hatte wirklich alle Tassen im Schrank. Ich trank die letzten Schlucke Wein, nahm eine neue Flasche aus dem Regal und suchte den Korkenzieher, der wie das Handy, die

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