Blutfrost: Thriller (German Edition)
Gegenstände berührte, die eigentlich in einen Abfalleimer gehörten. Doch dann wurde ich kurzatmig, bekam Angst, stieg vom Fahrrad und schob es aus Rücksicht auf mein Herz nach Hause.
Als ich ins Haus kam, tanzte meine Mutter mit einer neuen roten Perücke auf dem Kopf durch das Wohnzimmer. Sie war schöner und jünger als die anderen Mütter, sagte selbst aber nur: »Unglückliche Leben haben viele Gesichter.« Sie strahlte eine beinahe elektrische Energie aus, wenn sie davon sprach, dass sie bald einen Mann finden würde, der eine teure Ausbildung auf dem Buckel hatte und dem das Geld aus jeder Pore seines Körpers drang. »Schatz, da bin ich mir wirklich ganz, ganz sicher.«
– E
Okay: Daniels Frau Nr. X (wie oft war er wohl verheiratet gewesen?) war also in Rexville mit einem Monster von Mutter aufgewachsen, so viel hatte ich verstanden. Aber warum teilte sie mir das mit? Wollte sie damit ihren Übergriff auf Josefine entschuldigen? Und was hatte das mit Daniel zu tun, dem Monster, das seine Kinder umbrachte? Versuchte sie mir zu sagen, dass ihre Mutter sie misshandelte und so auch dafür verantwortlich war, dass ihr Mann sie jetzt misshandelte? Sie war es, die in der Ambulanz geweint hatte. Er hatte nur auf derBank gesessen und sein Gesicht hinter seinen Händen verborgen. Okay: Vielleicht war sie genötigt worden, sich in irgendeiner Weise an der Misshandlung ihrer Kinder zu beteiligen? War das jetzt so etwas wie eine Beichte? Wollte sie Vergebung? Irgendetwas stimmte da nicht. In erster Linie die Tatsache, dass das Kind nicht ermordet worden war, dass keines von Daniels Kindern zu Tode gekommen war. Ich schob den Gedanken von mir.
Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Immer wieder musste ich an mein gestriges Gespräch mit Nkem denken. Wir waren im Streit auseinandergegangen. Ihr Gesicht hatte sich vollkommen verändert und ihr Blick war richtiggehend schwarz geworden. »Du interessierst dich doch überhaupt nicht für dieses kleine Mädchen!«, hatte sie auf einmal und ohne jede Vorwarnung gedonnert, während sie aufsprang und etwas in ihre Tasche stopfte. »Dir geht es doch nur darum, Daniel eins auszuwischen. Nur zu! Tu, was du nicht lassen kannst, lock ihn in irgendeinen dunklen Wald und bring ihn ganz einfach um!« Sie hatte ihren Mantel angezogen. »Du findest schon etwas, da bin ich mir sicher.« Als sie schon in der Tür stand und gerade gehen wollte, drehte sie sich noch einmal um und schimpfte: »C’mon, das ist es doch, was du willst!« Und dann hatte sie mich einfach in ihrem weichen Sessel zurückgelassen, allein mit all meinen Zweifeln. In gewisser Weise hatte sie ja recht, aber eben nur ein bisschen. Ich blieb sitzen, starrte auf die dunkle Scheibe und versuchte auszurechnen, zu wie viel Prozent sie recht hatte. Vielleicht zwanzig. Maximal dreißig. Mehr jedoch ganz sicher nicht. Und das sollte sie wissen. Ich war enttäuscht.
Diese Enttäuschung quälte mich immer noch. Es war inzwischen elf Uhr, und ich hatte noch so gut wie nichts ausgerichtet. Ich starrte auf die Stapel, die sich auf meinem Schreibtischtürmten, und ging zum Sofa. Meine Enttäuschung konkurrierte mit »E« um meine Aufmerksamkeit. Nicht mit meinem guten Willen.
Ich begutachtete die Wunde auf meinem Arm. Sie hatte bereits zu schuppen begonnen. Ich griff nach der Kamera und stand auf, als Nkem mit schuldbewusstem Gesicht in mein Büro kam. Sie schloss die Tür hinter sich.
»I’m sorry, nne «, sagte sie und blickte zu Boden. »Ich weiß, dass es so ist, ich weiß aber auch, dass das nicht die ganze Wahrheit ist.« Vermutlich verstand nur ich, was sie meinte: dass sie nämlich zu zwanzig bis dreißig Prozent recht hatte. Ihr Gesicht faltete sich zu einer unbegreiflich entschuldigenden Grimasse zusammen.
»Ist schon in Ordnung. Wir sagen so viel, wenn der Tag lang ist.«
»Ich komme dann wirklich bald rüber und helfe dir beim Auspacken. Um das wiedergutzumachen.« Oh nein. Nur das nicht. Aber das sagte ich nicht. Stattdessen bat ich sie, ein Foto von meiner einen Tag alten Wunde zu machen.
13
Es sollten zwei Wochen vergehen, bis ich wieder von »E« hörte. Zwei Wochen, in denen ich inständig versuchte, sie zu vergessen und mich ganz auf meine Arbeit zu konzentrieren, um Fyn Nielsen geben zu können, was er für die Anklageschrift brauchte.
Das Abschuppen meiner kleinen Wunde begann also bereits einen Tag nach der Verletzung, und diese Entwicklung hielt an und entsprach damit dem Wundentwicklungsverlauf
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