Blutfrost: Thriller (German Edition)
Sie drehte sich bestürzt zu mir um.
»Verdammt, scheiße, tut das weh!«, schrie ich und krallte meine Nägel neben dem Stoff in die Haut, um mich von dem infamen Schmerz abzulenken, der unter dem Pflaster brannte. Ich sah kurz auf die Uhr. Es war zehn nach zwei.
»Runter damit!«, sagte Nkem und stand auf. »Mach das ab!«
»Genau das will ich nicht«, rief ich und gab dabei sämtliche Schimpfworte von mir, die ich kannte. Die Haut war um das Pflaster herum schon ganz verkratzt.
Nkem beugte sich über mich und wollte ihre Hand auf den Arm legen, doch ich zog ihn weg. »Hör auf!«, fauchte ich etwas zu laut. »Wenn ein kleines, nichts ahnendes Mädchen das stundenlang auf seiner ganzen Brust ertragen kann, werde ich doch wohl einen kleinen Fetzen aushalten.« Und dann fluchte ich weiter. Es half. Versuche hatten gezeigt, dass Fluchen ebenso wie der Duft von Blumen die Schmerzempfindlichkeit herabsetzte.
In der Tür versammelten sich immer mehr weiß gekleidete Laboranten, die wissen wollten, was hier vor sich ging.
»Krause hat heute einen schlechten Tag«, sagte Nkem und warf die Tür zu.
Die Zeit kroch nur im Schneckentempo weiter, ich starrte auf die Uhr, fluchte und war wirklich kurz davor, mir diesen Lappen abzureißen. Nkem stand mitten im Raum und sah mich die ganze Zeit über an. In ihren weit geöffneten Augen lag mütterliche Angst. Verdammt, verdammt, verdammt .
»Setz dich bitte wenigstens hin«, fauchte ich sie an, während ich weiter mit allen Nägeln auf meine Haut losging. Sie aber blieb stehen.
»Verflucht noch mal, kannst du nicht einfach arbeiten!«, schimpfte ich und fluchte weiter: scheiße, scheiße, scheiße! Es hörte nicht auf! Irgendwann trat ich ans Fenster und starrte nach unten auf den Beton, während ich nervös auf- und abhüpfte. Wieder sah ich auf die Uhr. Wie lange dauerte es, bis die Nervenbahnen weggeätzt waren? Den ganzen Tag? Ich biss die Zähne zusammen und starrte wieder auf die Uhr. Dreizehn Minuten nach zwei. Hinter mir setzte Nkem sich wieder ans Mikroskop, sah allerdings immer wieder zu mir herüber. Hüpfend versuchte ich, mich auf ihr Bücherregal zu konzentrieren, fluchte dabei aber weiter.
Und dann hörte es plötzlich auf. Mit einem Mal waren die Schmerzen weg. Ich sah auf meine Uhr. Viertel nach zehn. Zehn Minuten dauerte es also.
»So«, sagte ich und sah in ihr besorgtes Gesicht mit den großen Augen. »Jetzt ist es vorbei: Damit wissen wir, dass es zehn Minuten dauert, bis hochalkalische Lösungen Nervenbahnen weggeätzt haben. Und wir wissen, dass es verdammt weh tut. Danke für deine Hilfe.«
Ich schlüpfte nach draußen und lief über die Treppe nach unten in mein Büro. Dort schnappte ich mir mein Handy und stellte den Wecker, damit ich nicht vergaß, wann die zwei Stunden vorbei waren und ich den Stoff abnehmen musste. Dann machte ich mich daran, die orangefarbenen Zettel abzuarbeiten, die die Sekretärinnen mir auf die Tischplatte geklebt hatten: Das Technische Gymnasium in Viby wollte gerne etwas über Mordermittlungen erfahren. Ich verwies sie an Schweinebacke im Büro nebenan. Er liebte Vorträge und Auftritte, ich hingegen hasste das. Auf dem nächsten Zettel stand: »Ein Herr, der nicht wirklich sagen wollte, was er will.« Ich rief ihn zurück und er wollte etwas über einen Bauchdeckenbruch wissen, ohne mir aber verraten zu wollen, wofür er diese Informationenbrauchte. Die nächste Frage kam von einem praktizierenden Arzt: Konnte das Alter von Erwachsenen ebenso wie das von Kindern eingeschätzt werden? Später erklärte er mir am Telefon, dass es um einen ausländischen Patienten ging, der wegen seiner Heirat sein Geburtsdatum nach oben korrigiert hatte, jetzt wegen der Pension aber wieder älter sein wollte.
Und natürlich hatte sich wieder einmal eine Autorin gemeldet: »Lotte Hansen hat angerufen«, stand auf dem Zettel. »Ihre Freundin schreibt einen Krimi. Sie hat gleich mehrere Fragen: Findet man noch DNA, wenn eine Leiche im Sommer draußen gelegen hat und stark verwest ist? Und kann man Fremd-DNA in den Haaren von Toten finden? Gibt es so etwas wie ein DNA-Register?« So vergingen die zwei Stunden.
Fünf Minuten nach vier nahm ich vorsichtig das Stoffstück ab und war schockiert über den Anblick: Eine schleimige, grünbraune Hautschicht, genau wie die, die das Mädchen auf der Brust gehabt hatte, bedeckte den Bereich unter dem Stofffetzen. Einen Moment lang blieb ich sitzen und dachte nach. Ich sah mir die Fotografien der
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