Blutgeld
Das Einzige, was ihn eindeutig als Iraker kennzeichnete, war die Härte in seinem Blick.
Lina stand auf. Im Licht konnte sie endlich die Dimensionen des Raumes sehen, in dem sie gefangen gehalten worden war. Es war eine grobe Betonzelle, vielleicht fünf Quadratmeter groß. Die Wände waren kahl, bis auf ein paar verzweifelte Botschaften, die von vorangegangenen Insassen gekritzelt worden waren. Bitten an geliebte Menschen und an Gott den Allmächtigen, ihrer in ihrem Leiden zu gedenken. Durch die Tür konnte sie einen schmalen Gang sehen, mit einem Fenster, das auf einen Innenhof ging. Es war Tag draußen. Die Sonne schien.
«Bitte nicht schlagen», sagte Lina auf Englisch. «Ich bin britische Staatsangehörige.»
Der Mann fauchte auf Arabisch:
«Indary!» Dreh dich um.
Er holte einen dicken Stoff aus seiner Tasche und verband ihr damit fest die Augen. Dann legte er ihr ein Seil um den Hals, wie eine Hundeleine, und zog daran. «Komm», sagte er.
Sie stolperte ihm einen langen Gang entlang hinterher; sie bogen einmal nach rechts. Sie gingen in die Richtung, aus der einige Stunden zuvor die Schreie gekommen waren. Schließlich blieben sie stehen, und sie hörte ihn eine Tür aufmachen und spürte dann den Zug der Schlaufe, als er sie hereinzog. Als die Tür geschlossen war, löste er die Augenbinde, nahm die Leine ab und befahl ihr, sich hinzusetzen. Der Stuhl hatte Riemen auf den Armlehnen.
«Ich heiße Kamal», sagte er und baute sich vor ihr auf. «Ich werde dich heute verhören. Ich bin der Nette. Ich bin aufs College gegangen. Ich mag Eiskrem. Ich bin genau wie du. Aber du musst mir die Wahrheit sagen. Nichts als die Wahrheit.»
«Was werden Sie mit mir machen?», fragte Lina, wieder auf Englisch.
Er antwortete auf Arabisch: «Ich werde dir Fragen stellen. Du wirst auf Arabisch antworten, oder ich werfe dich aus dem Fenster da.» Er zeigte auf eine kleine Öffnung am hinteren Ende des Raumes.
«Ich möchte bitte mit dem britischen Botschafter sprechen», sagte sie, diesmal auf Arabisch.
Der Mann lachte bloß. «Du träumst. Es gibt keinen britischen Botschafter für dich. Es gibt nur mich.» Er ging zum Stuhl und schnallte die Riemen um ihre Unterarme.
«Bleib, wo du bist. Ich bin gleich wieder da!» Er lächelte. Er fand das komisch. Er verließ den Raum durch eine Seitentür, sodass Lina sich jetzt etwas genauer umsehen konnte. Direkt vor ihrem Stuhl war ein einfacher Metalltisch, auf dem sich eine ungeöffnete Flasche Johnny Walker Black Label und eine Stange Marlboro befanden. An einer Wand hing eine vergilbte irakische Fahne. Auf der anderen ein Plakat, auf dem die Staatspartei gefeiert wurde. Es waren ein paar Blumen abgebildet und die Worte
«Kull al-shaab shaddat warid, wa al-rhia hizbiyya»
– «Das ganze Volk ist ein Blumenstrauß, und der Duft ist die Partei».
Unter diesem unpassenden Blumenplakat stand ein Holztisch. Es waren darauf eine Reihe von Instrumenten ausgelegt, wie die Bohrer und Stocher bei einem Zahnarzt. Dann war da noch ein Stück Elektrokabel, etwa einen Meter lang, das in einer dünnen Plastikhülle eingewickelt war. Daneben ein Gerät aus Holz und ein zweites, größeres, das mehr wie ein Baseballschläger aussah. Dann kam irgendeine elektrische Vorrichtung, mit Drähten, die aus der Konsole herausragten, und daneben ein Eimer Wasser. An der Wand waren in Abständen von etwa einem Meter Metallringe angebracht. In einer Ecke des Raumes befand sich ein Untersuchungstisch, wie beim Gynäkologen, mit Metallbügeln, um die Beine auseinanderzuhalten. Neben dem Stuhl war ein Tablett mit Instrumenten, die Lina nicht sehen konnte.
Die Tür ging wieder auf, und der Mann in den Bluejeans kam zurück. Er hatte eine Aktenmappe in der Hand. Lina zitterte jetzt. Sie hatte versucht, tapfer zu sein, aber der Anblick des Verhörraums mit den Folterinstrumenten hatte sie aus der Fassung gebracht. «Angst?», fragte der Mann.
Lina nickte.
«Gut», sagte er. «Ich hab dir ein paar Fotos mitgebracht. Von jemandem, den du kennst, glaube ich. Ich möchte, dass du sie dir anguckst.»
Er warf die Mappe auf Linas Schoß, wobei eins der Fotos auf den Boden fiel. Es war von Randa Aziz. Das Gesicht war erkennbar, obwohl schmerzverzerrt. Sie war von der Hüfte aufwärts nackt. Blut rann ihren Bauch herunter.
«Es gibt noch mehr Fotos», sagte der Mann. «Sieh sie dir an.»
Lina saß reglos da, versuchte, ihr Schluchzen zurückzuwürgen. Ihr Kopf war immer noch von der Mappe abgewandt, und die
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