Blutgeld
Bagdad arbeitete. Er behauptete, ein Freund von Linas Tante Soha zu sein, die im selben Ministerium arbeitete, und als Beweis legte er Lina einen Brief von ihr vor. Lina las ihn besorgt. Ihr Vater hatte Soha immer als eine Art Familiengeisel bezeichnet, der man eine Stelle beim Staat gegeben hatte – oder besser, die man gezwungen hatte, diese Stelle anzunehmen –, nachdem die restliche Familie aus dem Land geflohen war.
Am Ende des Briefes, nach mehreren Passagen allzu fröhlicher Nachrichten über das Leben in Bagdad, hatte Soha Lina vorgeschlagen, sich an einen Geschäftsmann namens Nassir Hammud zu wenden, wenn sie nach ihrem Universitätsabschluss eine Stelle suche. Hammud brauche Leute mit einer technischen Fachausbildung, schrieb sie, und es wäre eine patriotische Tat. So jung sie auch war, Lina hatte die Quintessenz des Briefes begriffen. Ihre Tante hatte Angst. Wenn Lina nicht tat, worum sie sie bat, würde Soha dafür büßen. Und so wie eine ganze Generation von Irakern tat Lina ihre Pflicht, kassierte ihren Scheck und schloss die Augen.
Weil Lina von dem Leben mit der Angst geprägt war, wurde sie von Mr. Hammud schnell als eine «vertrauenswürdige Mitarbeiterin» aufgenommen. Er ging davon aus, dass jeder Angestellte, der Verwandte in Bagdad hatte, ihn fürchtete, tat, was er sagte, und keine Fragen stellte. Er sprach nie ausdrücklich Drohungen aus, aber das war auch nicht nötig. Jeder verstand es auch so. Das war der Stoff, aus dem Unternehmen wie Coyote Investment gemacht waren und der für Außenstehende undurchdringlich war. Die Londoner Exilanten waren mit einem Ort verbunden, der Tausende von Meilen entfernt war, aber allgegenwärtig in der Phantasie: ein Ort, an dem ein Mann Hammer und Nägel über dem Kopf eines geliebten Menschen hielt. Der Terror war unentrinnbar. Er nahm eine ganze Nation als Geisel und versenkte sie in Tiefschlaf.
4
Am Morgen nach seinem Streifzug zum Müllcontainer klingelte Sam Hoffmans Telefon. Es war sein Vater, der aus Athen anrief. Die laute, polterige Stimme deutete darauf hin, dass Frank Hoffman, wie so oft in letzter Zeit, betrunken war. «Sammy», brüllte er ins Telefon. «Wie geht’s, verdammt nochmal?»
Sam riss sich zusammen. Dies war ein Teil des jungen Erwachsenseins, mit dem er nicht gerechnet hatte – mit einem Vater fertigwerden zu müssen, der sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. «Alles okay, Pa», sagte er. «Und wie geht’s dir?»
«Phantastisch, ja, so geht’s mir. Hab gerade fünf Millionen Mäuse gemacht.» Er schrie beinahe, so laut, dass Sam den Hörer vom Ohr weghalten musste. Hoffman senior war vor einigen Jahren in Pension gegangen und spielte jetzt Geldmachen, so wie andere Pensionäre Golf spielten. Der Alte fing an, von seinem neuesten Triumph zu berichten, wobei es anscheinend darum ging, dass er in Malta libysche Kreditbriefe unter pari gekauft und sie mit enormem Profit in Rom verkauft hatte. Oder so ähnlich. Sam versuchte, ihm zu folgen, aber als sein Vater anfing, ihm was von einem Meer von Geld zu erzählen, wusste er, dass es Zeit war, das Gespräch zu beenden.
«Diese ganze Welt treibt auf einem Meer von Geld, mein Junge», stotterte Frank Hoffman ins Telefon. «Du kannst es mit einem Strohhalm aufsaugen, wenn du nicht zu dämlich bist oder zu viel Schiss hast!» Die Wörter mit S kamen alle undeutlich heraus.
«Ich hör mir das liebend gern ein andermal an, Dad. Aber ich muss jetzt weg. Bin gerade an einem neuen Fall.»
«Ach ja?»
«Vielleicht hast du von dem Unternehmen schon mal gehört. Wird von einem Iraker geleitet.»
«Lass die Finger von den Irakern, Kleiner. Die spinnen. Bringen sich ständig gegenseitig um. Völlig durchgeknallt.»
«Okay, wie du meinst.»
«Scheiß auf die Iraker. Fang mir nicht mit diesen verdammten Irakern an. Und komm mir nicht mit diesem ‹Hab zu tun›-Mist. Das sagst du immer. Wach auf und riech den Kaffee.»
«Ich bin wach, Dad. Ich muss jetzt wirklich weg.»
«Dieses Meer von Geld ist überall um dich herum, mein Junge. Wenn du nur deine Augen aufmachen würdest. Brauchst dich nur über Bord zu lehnen und einen Riesenschluck zu nehmen. Weil’s da draußen ist. Milliarden von Dollar blubbern aus dem Boden heraus wie ’ne Wasserquelle, und es hört nicht auf. Nie! Da ist so viel Kohle, dass die Banken sie gar nicht halten können. Jetzt hör doch endlich mal auf deinen Alten, ausnahmsweise. Such dir ’nen Strohhalm, lehn dich über die Seite und saug’s auf.
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