Blutgeld
Abschied seine Wange gestreift hatte.
Der Club sah aus wie die Tanzlokale in den alten Schwarzweiß-Wochenschauen während des «Blitz» in London. Er befand sich in einem Labyrinth aus baufälligen Gebäuden in einer Gegend, in der sich nur jene Londoner blicken ließen, die entweder arm waren oder sich verlaufen hatten. Vorm Eingang brannte ein Müllfeuer in einer Tonne. Drum herum standen fünf kräftige Männer aus der Karibik und rieben sich die Hände gegen die abendliche Aprilkälte. Sie trugen alle die gleichen Bomberjacken und Sprechfunkgeräte am Gürtel, die gleichzeitig knarrten. Es schienen Rausschmeißer zu sein. Hoffman ging am Größten von ihnen vorbei, wobei er Blickkontakt vermied. «Moment mal, Mann!», sagte der Rausschmeißer. Er filzte Hoffman schnell, ließ sich aber im Schritt Zeit. «Und ich?», fragte Antonia. Sie wirkte enttäuscht, als man sie ohne Leibesvisitation durchwinkte.
Im Inneren des Clubs herrschte unerträglicher Lärm. Es war weniger Musik als ein reines Dröhnen. «Wie in ’ner Fabrik», brüllte Antonia. Hoffman war sich nicht sicher, ob sie den Krach oder das Gebäude meinte. Die Wände waren mit Bettlaken verhängt, die zerrissen, verfärbt, mit Graffiti bemalt oder anderweitig entstellt waren. Sie passten gut ins Bild: ausgebombte Ruinen, Krieg, Verfall. An den Wänden standen klobige Sofas, die vom Trödel zu stammen schienen; auf ihnen hingen die Körper von Leuten herum, die von Rauschmitteln, Alkohol oder der Musik völlig hinüber waren. Über diesem menschlichen Schlachtfeld hing tief eine Wolke aus Zigarettenqualm.
Antonia war schon auf der Tanzfläche und tanzte. Sie brauchte offenbar keinen Partner. Hoffman lehnte sich gegen die Wand und schnorrte eine Zigarette von einem pickelgesichtigen Jungen in einer Joggingjacke mit Lederärmeln, die auf dem Rücken die Aufschrift «Akron North» trug. Er beobachtete, wie Antonias Brüste im Rhythmus der Musik auf und ab bebten. Nach zwanzig Minuten kam sie schweißgebadet zu ihm zurück. Durch den Stoff ihres Kleides waren ihre Brustwarzen sichtbar. Sie ertappte ihn, wie er darauf starrte.
«Findest du, dass meine Brüste zu groß sind?», fragte sie. In ihrer Aussprache war noch eine Spur aus dem Norden zu hören. Sunderland oder Hartlepool.
«Nein», erwiderte Hoffman. Er bot ihr einen Zug von seiner Zigarette an.
«Mein Agent meint aber, sie wären zu groß. Er hat gesagt, ich werd’s als Schauspielerin nie schaffen, wenn ich sie mir nicht operieren lasse.»
«Der spinnt ja.»
«Sonst krieg ich immer nur die billigen Rollen, sagt er. Keine ernsten. Er hat gesagt, Frauen mit kleinen Brüsten sehen ernsthafter aus. Findest du das auch?»
«Quatsch. Das ist doch lächerlich.»
«Sie erschweren auch das Tanzen.» Sie drückte die Schultern nach hinten und wackelte. «Siehst du?»
«Hör auf», sagte Hoffman. Er sah auf seine Uhr. Wenn Lina jetzt immer noch nicht zu Hause war, war es Zeit, sich Sorgen zu machen. «Ich muss mal telefonieren.»
Sie lehnte sich ihm entgegen und schloss die Augen. «Möchtest du mich später fesseln?»
«Nein, ich glaube nicht.»
«Warum denn nicht?» Sie sah gekränkt aus. «Möchtest du vielleicht von mir gefesselt werden?»
«Hör mal, ich muss jetzt wirklich mal telefonieren. Ich bin gleich wieder da.»
Antonia machte ein Schmollgesicht. Sie drehte sich um, ging zurück auf die Tanzfläche und tauchte wieder in die Menge aus Körpern ein.
Hoffman fand schließlich ein Telefon und rief bei Lina an. Diesmal ging sie ran. Es war Viertel nach zwölf. «Hier ist Sam», brüllte er ins Telefon. «Tut mir leid, wenn ich Sie aufgeweckt habe.»
«Was?» Sie konnte ihn bei dem Lärm, den die Musik machte, kaum verstehen.
«Ich hab gesagt, es tut mir leid, wenn ich Sie aufgeweckt habe.»
«Ich hab noch nicht geschlafen!», brüllte sie. Ihre Stimme klang benommen. Hoffman hielt es für Angst.
«Ist alles in Ordnung? Ich hab mir Sorgen um Sie gemacht.»
«Ja, natürlich.
Fawq al nakhal.
»
«Was?»
«Das ist ein irakischer Ausdruck.
Fawq al nakhal.
Das heißt, dass ich unglaublich glücklich bin. Wo sind Sie? Es hört sich ja fürchterlich laut an.»
«In einem Club an der South Bank. Ich hab schon vorher versucht, Sie zu erreichen, aber Sie waren nicht da. Haben Sie meine Nachricht bekommen?»
«Ja. Ich hab Sie zurückgerufen. Ich wollte sichergehen, dass Sie’s erfahren.»
Hoffman kapierte immer noch nicht. «Wo waren Sie denn heute Abend? Ich hab mir Sorgen
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