Blutgeld
gemacht.»
«Ich hab gefeiert, ist doch klar. Mit Randa zusammen.»
«Was gefeiert?»
«Mein Gott! Haben Sie denn nicht die Meldung gehört?»
«Was für eine Meldung? Wovon reden Sie?»
«Er ist tot!»
«Ich verstehe Sie nicht.»
«Der Herrscher! Er ist tot! Sie haben es vor drei Stunden in Radio Bagdad gemeldet!»
«Der Herrscher ist tot? Großer Gott! Kein Wunder, dass sie glücklich sind. Das ist ja unglaublich!» Er brüllte über den Lärm der Musik.
«Ja, ist das nicht wunderbar?» Sie klang beinahe schwindelig vor Freude und Erleichterung. «Sind das nicht die besten Nachrichten, die Sie je gehört haben?»
«Fabelhaft», brüllte Hoffman. Der dröhnende Rhythmus der Musik kam in Wellen näher, die Wände vibrierten, und der Boden bebte. Er suchte Antonia und entdeckte sie am anderen Ende des Raumes, tanzend, den Hintern gegen den Unterleib eines der Rausschmeißer gedrückt. Er war erleichtert. Jetzt brauchte sie doch niemand, der sie heimfuhr.
«Hören Sie», brüllte er. «Das sollten wir feiern!»
«Was?»
«Feiern. Wir beide.»
«Wann?»
«Jetzt sofort. Ich komme zu Ihnen.»
«Klar. Warum nicht? Jetzt ist es ja egal, ob uns jemand zusammen sieht. Randa ist auch da. Wir rufen jeden Iraki an, den wir kennen. Ich hab sogar Nabil Jawad angerufen, den Dichter, und ihn eingeladen. Wir müssen dauernd drüber reden! Wir werden einen ganzen Monat lang feiern!»
«Toll! Ich komme, so schnell ich kann», brüllte Hoffman. «Ich bin auch ganz aus dem Häuschen.»
«Es ist vorbei, Sam», sagte sie mit einer Stimme, die wie Champagner sprudelte. «Es ist vorbei.»
17
Er war also gestorben. Die Meldung wurde kurz nach zehn, Bagdader Ortszeit, verkündet. Das Radio verstummte für eine Viertelstunde und setzte das Programm dann mit einem Mullah fort, der aus dem Koran las. Dann gab es wieder eine kurze Sendepause, wonach Marschmusik erklang. Es wurde keine Todesursache genannt, und es wurden keine weiteren Einzelheiten bekannt gegeben, aber jeder schien sofort zu wissen, dass er wirklich nicht mehr auf dieser Erde war. In den Straßen von Mosul und Basra wurden Freudenschüsse abgefeuert, auch in den kurdischen Städten Irbil und Süleymaniye, in Karbala und Najaf, den heiligen Städten der Schiiten, sogar im Stadtzentrum von Bagdad. Die Menschen eilten auf die Straße, sowie sie die Meldung und die Schüsse hörten. Es war ein Augenblick, in dem es schien, das Tor der Geschichte sei weit aufgestoßen worden, und niemand konnte sich vorstellen, dass es jemals wieder verschlossen werden könnte.
In dieser Nacht stand der Vollmond über dem Tigris und beleuchtete die Stadt wie ein Lampion ein Sommerfest. Die Brücken, die sich über den Fluss spannten und während der Jahre des Krieges so oft zerbombt und repariert worden waren, sahen in dem Mondlicht wie gespenstische Skelette aus. Die Minarette der großen, mit Blattgold überzogenen Moschee von Musa al-Khadhim blitzten wie ein Schatz. Selbst die geschmacklosen Statuen, die im Verlauf der Jahre vom Herrscher errichtet worden waren, um seine Siege zu feiern und seine Niederlagen zu maskieren, wirkten jetzt edel, wie Artefakte eines Zeitalters, das ungeachtet seiner Fehler im Begriff war, in die Geschichte einzugehen.
In den Betonbunkern, in denen die verschiedenen Staatsministerien untergebracht waren, brannte noch Licht, aber die Gebäude waren leer, weil die Menschen auf die Straßen hinausströmten. Binnen einer Stunde nach der ersten Meldung verbreitete sich das Gerücht, der Herrscher sei ermordet worden, von einem unbekannten Schützen, dem es gelungen war, in das Privatgelände einzudringen, das gewöhnlich nur Familienmitgliedern und Leibwächtern zugänglich war. An jeder Straßenecke tuschelte man etwas anderes: Der Attentäter sei ein muslimischer Fanatiker; es sei der Halbbruder des Herrschers; es sei ein zirkassischer Leibwächter; es sei ein israelischer Agent oder ein jordanischer.
Die erste Reaktion bei vielen Irakis war, in Tränen auszubrechen; selbst jene, die den Herrscher zu seinen Lebzeiten verachtet und gefürchtet hatten. Als wären die Säulen, die den Himmel getragen hatten, plötzlich zusammengebrochen. Man empfand so etwas wie Höhenschwindel. Die Menschen wussten nicht, wie es eigentlich war, außerhalb der Welt der Illusion, die der Herrscher geschaffen hatte. Für eine ganze Generation war sein Gesicht jeden Morgen auf der ersten Seite der Zeitungen zu sehen gewesen. Und jeden Abend im Fernsehen, in diesem ewigen
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