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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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sollte – eine umfangreiche Loseblattsammlung –, aber es war zu groß für ihre Tasche. Egal. Sie würde ein bisschen herumtüfteln müssen. Es war Zeit zu verschwinden. Sie ging auf Zehenspitzen zur Tür und lauschte auf Schritte, hörte aber nichts. Sie öffnete die Tür ein paar Zentimeter, blickte in beide Richtungen und schlüpfte wieder auf den Flur hinaus. Nicht zurückschauen, sagte sie sich. Noch ein paar schnelle Schritte, und sie war so gut wie in Sicherheit. Sie schloss die Augen, als sie die Tür zu ihrem kleinen Büro aufmachte, weil sie fast erwartete, Mr. Hammud dort vorzufinden, aber es war leer.
    Aywa!
Ja, vielleicht hatte sie den Bösen Blick gestern Nacht hereingelegt, als sie sich im Bett hin und her gewälzt hatte. Oder vielleicht war das Böse Auge mit dem Herrscher gestorben. Sie holte ihren Mantel aus dem Schrank und sah wieder auf den Flur hinaus. Er war immer noch leer. Wo steckten nur alle? Sie ging schnell zur Aufzugzeile und betete, dass keiner der Sicherheitsbeamten dort Wache hielt. Sie sah bloß eine britische Sekretärin von der anderen Seite, die ihre Nase in ein Buch gesteckt hatte. Es klappte. Der Böse Blick konnte sehen, wie sehr sie in den letzten Wochen gelitten hatte, und er war nicht mehr neidisch.
     
    Die Universität war in Bloomsbury, eine halbe Stunde mit der U-Bahn entfernt. Lina ging direkt in die U-Bahn und fuhr mit der Piccadilly Line zum Russell Square. Es war bedeckt und nieselte; einer von jenen Tagen, wo die Londoner Kälte einem wie eine feuchte zweite Haut am Leib zu kleben schien. Lina steuerte auf das Uni-Gelände zu, wo sie drei Jahre in glücklicher akademischer Selbstvergessenheit verbracht hatte. Die Tauben im Russell Square sahen so aus, als hätten sie sich seitdem nicht vom Fleck gerührt.
    Lina ging direkt in die Mathematisch-technische Fakultät und nahm den Aufzug zur Informatikabteilung in den vierten Stock. An der Tür stand ein alter Rentner in einer blauen Uniform, der das Gebäude bewachen sollte. Aber als Lina ihn anlächelte, tippte er bloß an den Hut und lächelte zurück. Shirley, die Abteilungssekretärin, wartete in ihrem Büro, genau wie Helen gesagt hatte. Sie las die
Sun
. Sie erinnerte sich an Lina von früher oder tat zumindest so. Lina entschuldigte sich dafür, dass sie sie an einem Tag, an dem niemand da war, störte. «Kein Problem», sagte sie und wandte sich erneut ihrem Boulevardblatt zu. Wie schön, sich wieder in der schlampigen Umarmung der Engländer zu befinden.
    Linas größtes Problem war die Zeit. Sie musste den Teil des Bandes finden, auf dem sich die geheimen Daten befanden, ihn kopieren und wieder ins Büro zurückkommen. Sie fand ein Laufwerk und lud das Band. Mit einem Surren fing der große Rechner an, die Informationen zu verarbeiten. Es dauerte fast vierzig Minuten, viel länger, als Lina gedacht hatte. Aber schließlich war das System geladen, lief und emulierte das System bei Coyote. Sie sah auf ihre Uhr. Es war schon nach zwei.
    Sie setzte sich ans Computerterminal. Ein Aufforderungszeichen verlangte einen Benutzernamen. Lina tippte
tech
ein, so wie Helen sie angewiesen hatte. Das Gerät erkannte den Namen und verlangte ein Passwort. Lina tippte
nician
ein. Die nächste Zeile erschien mit einem neuen Aufforderungszeichen, #, und Lina begriff, dass sie drin war. Sie tippte, nur zur Sicherheit,
whoami
ein, und das Gerät antwortete
tech
. Die Backdoor hatte funktioniert!
    Jetzt musste Lina nur noch Hammuds Dateien finden, Kopien machen und verschwinden. Sie versuchte sich gerade an Helens Anweisungen zu erinnern, als sie draußen im Flur Schritte hörte. Sie erstarrte, befürchtete, dass das Klickern der Tastatur durch die Tür hindurch hörbar sein könnte. Die Schritte wurden langsamer, als sie sich der Tür näherten. Das war seltsam. Helen hatte gesagt, es würde kein Mensch da sein. In ihrer plötzlichen Angst fragte sich Lina, ob vielleicht einer von Hammuds Schlägern sie bis zum Russell Square verfolgt hatte. Was war sie für ein Dummkopf! Sie hätte sorgfältiger darauf achten sollen, ob sie überwacht wurde. Lina meldete sich schnell am Gerät ab. Die Schritte hatten sich immer noch nicht von der Tür entfernt, und Lina meinte, jemanden atmen zu hören. Sie erhob sich vom Terminal und ging zur Tür. Besser irgendwas tun, als einfach nur dazusitzen und sich zu verstecken. Sie schloss die Augen und zog die Tür auf.
    «Hallo, Liebes», sagte Shirley. Sie wirkte kein bisschen verlegen, dass sie

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