Blutgeld
Backdoor. Lina versuchte sich daran zu erinnern, wer als erster in ihrem Umfeld diese Weisheit verbreitet hatte, und dann fiel ihr ein, dass es ihre Freundin Helen Copaken gewesen war. Nun war ihr klar, was sie zu tun hatte: Sie musste Helen anrufen.
Helen Copaken war eine Computerspezialistin. Sie hatte in dem Informatik-Studiengang an der Universität die besten Noten erhalten, und als Lina nach ihrem Abschluss zu Coyote Investment gegangen war, war Helen geblieben, um in Elektrotechnik zu promovieren. Helen arbeitete hauptsächlich zu Hause, und in dieser Isolation kultivierte sie das, was sie gerne ihre «Spinnerei» nannte. Es machte ihr Spaß, sich in Internetforen herumzutreiben und die Leute, die sie nicht mochte, zu «flamen». Sie unterhielt sich alle paar Wochen mit Lina, meistens über Männer. Aber wenn es irgendjemanden gab, der wusste, wie man in ein Computersystem einbricht, dann Helen.
Lina zog Regenmantel und Gummistiefel an und ging zum öffentlichen Fernsprecher in dem pakistanischen Lebensmittelladen um die Ecke. Er war leer bis auf den Besitzer Mr. Ahmad. Lina legte die Hand um den Hörer, als ihre Freundin abnahm, und sprach im Flüsterton.
«Helen? Hier ist Lina Alwan. Ich hoffe, ich hab dich nicht geweckt.»
«Natürlich nicht. Die Nacht ist noch jung. Was gibt’s Neues? Wie geht’s?»
«So lala. Hast du eine Minute Zeit? Ich brauche Hilfe bei einem Computerproblem.» Lina blickte den Gang hinunter zur Kasse. Mr. Ahmad las in einer Zeitschrift. Er schien seine Umgebung gar nicht wahrzunehmen. «Es ist ziemlich heikel. Wenn ich es dir erzähle, musst du mich schützen. Versprichst du mir das?»
«Na klar. Was du willst. Was ist los? Muss ja was Saftiges sein.»
Lina erklärte ihr Problem in so allgemeinen Worten wie möglich. Es sei etwas bei ihrer Arbeit passiert und sie müsse im Computersystem an die persönliche Datei von jemandem herankommen. Er sei weg und sie habe nicht sein Passwort. Sie brauche Hilfe.
«Ich dachte, du bist Systemadministrator. Du müsstest zu jeder beliebigen Datei Zugang haben können.»
«Ja. Aber man hat mein Passwort geändert. Aus Versehen.»
«Hmmm», sagte Helen. «Ich nehme an, du kannst kein neues bekommen.»
«Genau. Aber ich muss umgehend an diese Dateien rankommen. Und ich muss ziemlich diskret vorgehen.»
«Was ist das denn für ein Mist? Als Administrator kannst du dir alles ansehen! Die Frage ist, wie du das machst, ohne neugierige Blicke zu wecken. Hmmm. Machst du regelmäßige Backups?»
«Natürlich. Wir haben ein Programm, das jeden Freitag durchläuft. Es kopiert sämtliche Dateien auf eins dieser dicken Bänder.»
«Die heißen Exabyte-Bänder, Schätzchen. Was machst du mit denen?»
«Ich staple sie auf einem Regal, über dem Gerät.»
«Dann könnte man vielleicht dort anfangen. Besorg dir die Sicherungsbänder.»
«Wieso? Die werden doch nie benutzt.»
«Eben. Da sind die gleichen Leckerbissen drauf wie im Online-System, aber die Leute vergessen sie. Außerdem kannst du damit irgendwo anders hin, aus dem Büro raus, um daran zu arbeiten. Also würde ich da anfangen. Ganz bestimmt.»
«Aber wie komme ich in die Dateien, wenn ich die Sicherungsbänder habe?»
«Ich nehme an, ihr habt ein UNIX -System?»
«Ja.»
«Okay, dann müsste das klappen. Die Maschine, mit der du die Bänder abspielst, wird ein paar Jahre alt sein müssen. Drei oder vier, mindestens. Klar? Wenn du eine findest, solltest du dich als
tech
anmelden. Und dein Passwort wird
nician
sein. Süß, nicht? Und erzähl
niemandem
, dass du das gemacht hast, weil das
mucho secreto
ist. Die Techniker haben diese Option in den alten UNIX -Maschinen in die Hardware eingebaut, damit sie hineinkonnten, wenn die Anwender die totale Scheiße gebaut haben. Es ist ein
S-u-Zugang
, du kannst dir alles angucken. Und dann geht die Post ab.»
«Und was bedeutet
s-u
?»
«‹Superuser›, Dummchen. Ist ja nicht zu fassen, dass du das alles nicht weißt. Du hast Glück, dass ich so clever bin.»
«So ein Glück. Und wie komm ich an die Datei von diesem Typ, wenn ich erst mal drin bin? Erklär mir das.»
«Wenn du nur eine Liste haben willst, gib
tar tv
ein. Tar steht für ‹tape archive›,
tv
für ‹table of contents, verbosely›. Ich weiß, das klingt komisch, aber vertrau mir.
Tar tv.
Damit wird alles aufgeführt, was in seinem persönlichen Verzeichnis steht.»
«Aber ich will nicht bloß eine Liste. Ich will die Dateien. Wie krieg ich die?»
«Das ist ein
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