Blutgesicht
Blicke auch wandern, obwohl sie sich in einer ziemlichen Enge belaiul, wo sie kein anderer hätte stören können. Zudem war es um sie herum ruhig. Die einzigen Geräusche verursachte sie selbst. Besonders wenn sich der Stoff der Jacke übereinanderschob, das war in der Stille schon recht deutlich zu hören, und darüber ärgerte sie sich.
Die Toilette hatte sie schnell hinter sich gelassen. Sie blieb im breiten Mittelgang stehen, der das Gebäude praktisch in zwei Hälften teilte, und horchte.
Stille umgab sie. Nichts zu hören auch nichts zu sehen. Die beiden Männer hielten sich längst in anderen Teilen des Baus auf. Was völlig normal war, nachdem soviel Zeit vergangen war.
Sie zitterte ein wenig. Das war ihr erster Einsatz, der aus der Reihe fiel. Da war man nervös, so etwas kam vor, und sie hatte auch Mühe, diese Nervosität unter Kontrolle zu halten. Es war ein Vorteil, daß sie sich auskannte. So kam sie schneller voran als in einem völlig fremden Gelände.
Sehr bald hatte sie auch die Doppeltür erreicht, die geschlossen war. Julia ging davon aus, daß sie die Polizisten im Ausstellungsraum finden konnte. Leider wußte sie nicht, wie sie reagieren würden, wenn sie plötzlich und unerwartet auftauchte. Deshalb mußte sie sich so vorsichtig und lautlos wie möglich bewegen.
Die junge Reporterin erinnerte sich daran, wie lautlos die Tür bei ihrem ersten Besuch aufgeschwungen war. Daran hatte sich bestimmt nichts geändert, und so versuchte sie es wieder.
Ja, es klappte.
Zwei Sekunden später war sie überrascht und enttäuscht zugleich. Für einen Moment verzog sich ihr Gesicht. Mühsam unterdrückte sie die Verwünschung, denn daß der Ausstellungsraum vor ihr dunkel war, damit hatte sie nicht gerechnet.
Ohne noch lange zu überlegen, huschte sie durch den Türspalt in den Raum hinein. Sofort und auch sehr leise schloß Julia die Tür wieder, blieb stehen und atmete zunächst einmal tief durch.
Jetzt nur keinen Fehler machen. Sich nur nicht zu heftig und zu schnell bewegen. Auf keinen Fall auffallen. Diese befehle gab sie sich selbst, und sie überprüfte zugleich ihre Kamera.
Sie war okay.
Julia konzentrierte sich auf ihre Umgebung. Besonders auf die, die vor ihr lag.
Eine heiße Welle huschte durch ihren Körper und hoch in den Kopf, als sie feststellte, daß sie nicht allein in der Dunkelheit war. Zwar hörte sie keine Stimmen, aber vor ihr in diesem seltsamen Zwielicht malten sich die Umrisse der beiden Männer ab, die sich geteilt hatten. Der eine ging rechts, der andere links.
Dann wechselte der links Gehende auf die rechte Seite. Sie bekam mit, wie die beiden flüsterten. Was sie sagten, war für Julia nicht zu verstehen. Sie hatte sich auch kaum vom Fleck bewegt. Ihre Hände umfaßten die Kamera, als konnte sie ihr einen besonderen Halt geben.
Den leisen Schrei der Überraschung unterdrückte sie im letzten Augenblick, als sie den scharfen Lichtfinger sah, der die Dunkelheit durchschnitt und sein Ziel auf dem Boden fand. Einer der beiden hatte eine Leuchte eingeschaltet.
Plötzlich wurde sie nervös. Julia sah auch, wie der Strahl wanderte. Er bewegte sich über den Boden hinweg. Da suchte jemand nach irgendeiner Spur, die wohl sehr schwer zu finden war. Er hatte auch etwas gefunden, nachdem er sich gebückt und einen bestimmten Teil des Bodens untersucht hatte.
Wieder hörte sie das Flüstern der beiden und konnte abermals nichts verstehen.
Die beiden blieben jetzt an der rechten Seite. Julia erinnerte sich daran, daß sie von der Tür gesprochen hatte. Sie konnte sich denken, daß die Polizisten danach suchten.
Die Kamera war schußbereite Das rote Punktlicht strahlte ihr entgegen. Der Blitz brachte soviel, daß sie auch bei diesen wenig idealen Lichtverhältnissen scharfe Bilder bekam. Zwar war der Apparat mit einem eingebauten Teleobjektiv versehen, trotzdem wollte sie näher an das Geschehen heran.
Nicht in der Mitte bleiben. Es so machen wie die beiden Männer. Allerdings fiel ihre Wahl auf die linke Seite. Da war die Perspektive besser. Sie konnte dann schräg über den Gang hinweg fotografieren.
Bis jetzt war alles glattgegangen. Bei Julia Mason hatte sich auch die erste Nervosität gelegt. Sie mußte sich nur zur Konzentration zwingen, weil ihre Gedanken immer wieder abdrifteten. Schon jetzt dachte sie daran, was der Chefredakteur wohl sagen würde, wenn sie mit dieser Geschichte kam.
Noch war der Bär nicht erlegt, noch konnte sein Fell nicht verteilt werden.
Julia
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