Blutgrab
Ulbrichts Stimme.
»Durchaus.« Kegelmann ließ sich nicht vom Ersten Kriminalhauptkommissar verunsichern. »In der Scheune befand sich nämlich ein abgestelltes Fahrzeug -ein Audi A4 Avant. Identisch wohl mit dem Fahrzeug, das wir suchen. Wenn sie das Fahrzeug unbemerkt bis ins Oberbergische bringen konnten, um es in einer Scheune zu verstecken, müssen wir uns nicht wundem, dass die Fahndung nach dem Auto erfolglos bleibt.«
»Was macht dich so sicher, dass es sich dabei um genau dieses Fahrzeug handelt, mit dem die Täter letzte Nacht unterwegs waren?« Der Zusammenhang wollte sich Ulbricht nicht erschließen.
»Die Brandsachverständigen und die Feuerwehrleute konnten Reste des Kennzeichens sicherstellen. Es handelt sich dabei um ein Remscheider Nummernschild, das vor ein paar Tagen von einem Fahrzeug gleicher Bauart gestohlen wurde.«
»Dumm scheinen sie nicht zu sein«, überlegte Ulbricht. »Immerhin suchen sie sich ein geeignetes Auto, von dem sie die Nummernschilder abschrauben. Sollten sie doch in eine Kontrolle kommen, besteht die Möglichkeit, dass sie nicht auf den ersten Blick auffliegen. Nicht jeder Polizist macht sich die Mühe, die in den Papieren eingetragene Fahrgestellnummer mit der am Fahrzeug abzugleichen.«
»Wir müssen davon ausgehen, dass wir es mit intelligenten Tätern zu tun haben«, gab Wolfgang Schaumert zum Besten und kippte den Restinhalt seines Pappbechers hinunter. »Sie planen ihre Taten von langer Hand und sind deshalb durchschaubar, wenn wir erst einmal dahintergekommen sind, was sie vorhaben.«
»In puncto Intelligenz mögen Sie recht haben«, räumte Ulbricht ein, den etwas ganz anderes beunruhigte. »Allerdings sind sie nicht durchschaubar, wie der Anruf beim Kollegen der Kriminaltechnik eben gezeigt hat: Sie mögen langfristig planen - allerdings agieren sie schnell wie der Wind, und genau das macht mir Angst.«
»Sie können sich nicht in Luft auflösen«, gab Schaumert zu bedenken. »Wenn das Fluchtfahrzeug mitsamt der gestohlenen Nummernschilder in der Scheune verbrannt ist, dann müssen sie irgendwie von dort weggekommen sein. Zu Fuß werden sie wohl kaum geflüchtet sein, oder?«
6
Der Wuppertaler Hauptbahnhof unterschied sich auf den ersten Blick nicht wesentlich von den Bahnhöfen anderer Städte. Geschäftiges Treiben, neben den gläsernen Ausgangstüren lungerten Penner herum, die just in dem Moment, als Maja Klausen die Bahnhofshalle betrat, von der Bahnpolizei zum Gehen aufgefordert wurden. Die beiden Obdachlosen erhoben sich unter Protest und verstauten ihr Hab und Gut in einer alten Reisetasche.
Die kleine Filiale einer Fast-Food-Kette verbreitete ihren Duft nach Fett und Burgern, der überall auf der Welt gleich roch. Maja hatte in diesem Zusammenhang schon einmal den Begriff »kulinarische Globalisierung« gehört.
Neben dem Infoschalter der Bahn stand ein Paar und knutschte weltvergessen. Er fummelte an ihr herum, seine Hand glitt frech unter ihren Rock und tätschelte ihren Hintern. Sie ließ es geschehen.
Irgendwo kläffte ein Hund. Das Gebell hallte von der hohen Decke zurück und mischte sich unter die verzerrte Stimme, die aus den Lautsprechern drang.
»Haben Sie etwas Kleingeld für mich?«
Maja Klausen wandte sich um und blickte in die glasigen Augen einer dick eingemummten Frau. Ihre braunen Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht, eine feine Duftwolke von Schweiß und Urin umgab die untersetzte Gestalt mit der dreckigen Kleidung. Ihre Frage nach Kleingeld war während der verzerrten Lautsprecherstimme untergegangen.
»Leider habe ich kein Kleingeld für Sie, aber vielleicht können Sie mir sagen, wie ich in die Innenstadt komme.« Maja stellte den grünen Rollkoffer neben sich ab und schenkte der offenbar obdachlosen Frau ein freundliches Lächeln.
»In die Stadt wollen Sie?« Die Obdachlose grinste abwertend. »In das, was davon übrig geblieben ist, meinen Sie wohl.«
Maja überlegte, ob sie etwas verpasst hatte. War ein Tornado über die Wuppertaler Innenstadt gezogen und hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen?
»Wie auch immer. Ich bin grade eben in Wuppertal angekommen und muss noch dringend ein Geschenk für einen Freund besorgen.«
Die Alte dachte einen Moment lang nach, dann deutete sie mit dem runzeligen Zeigefinger auf die Rolltreppe der Bahnhofshalle, die in die Tiefe führte. »Da runter, dann rechts durch den Tunnel, bis es nicht mehr nach Pisse stinkt. Das ist dann die Elberfelder City.« Sie lachte meckernd, fast
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