Blutgrab
so, als hätte sie einen unglaublich guten Witz gerissen. »Viel Spaß wünsche ich Ihnen.« Die Ironie in der Stimme der Obdachlosen war nicht zu überhören, doch Maja hatte keine Lust mehr, das Frage-Antwort-Spiel fortzusetzen.
»Danke. Ich werde es versuchen.« Eilig marschierte sie, den Koffer am langen Arm hinter sich herziehend, auf die Rolltreppe zu. Unten angekommen, fand sie sich vor dem Eingang einer Bahnhofsbuchhandlung wieder. Nachdem sie sich orientiert hatte, wandte sich Maja Klausen nach rechts. Ihr Weg führte an zahlreichen kleineren Läden und gläsernen Schaukästen vorbei. Mit Erreichen des Tageslichts am Ende des Fußgängertunnels ließ auch die stickige Luft nach. Maja zuckte zusammen, als sie über ihrem Kopf ein surrendes Geräusch vernahm. Sie legte den Kopf in den Nacken und erblickte eine Schwebebahn, die eben eine Station verlassen hatte und nun schnell Fahrt aufnahm.
Maja Klausen sah zum ersten Mal das Wuppertaler Wahrzeichen mit eigenen Augen. Sicherlich würde sie in den nächsten Tagen auch damit fahren können. Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr - es war noch ziemlich früh am Tag, und so beschloss Maja, zunächst ein wenig durch die Stadt zu bummeln, bevor sie sich auf den Weg zum Polizeipräsidium machte.
Ulbricht ahnte noch nichts davon, dass sie unterwegs zu ihm war.
Da bei der ZKI in Hameln alle Mann an Bord waren, hatte Maja ein paar Tage Urlaub bei Kriminaloberrat Dauber herausschinden können. Sie war sicher, dass Hauptkommissar Jürgen Grundmann, ihr Partner, sie während ihrer Abwesenheit hervorragend vertreten würde. Und so hatte sie ihr Versprechen eingehalten, eine Stippvisite in Ulbrichts Heimatstadt Wuppertal einzulegen.
Rechts gab es ein großes Einkaufscenter mit rot leuchtenden Lettern an der gläsernen Front. So etwas gab es in Hameln auch, wenngleich ein paar Nummern kleiner. Fachwerkhäuser und die prächtigen Bauten der Weserrenaissance, die sie an ihrer Heimatstadt so sehr liebte, suchte sie hier vergeblich. Einige der Gebäude machten gar einen heruntergekommenen Eindruck.
Mitten in der Fußgängerzone stand eine Skulptur. Maja verlangsamte ihre Schritte und betrachtete die Bronzefigur; ein etwas pummeliges Mädchen mit Stupsnase, das eine Schürze und Pantoffeln trug. Wirkte die in die Hüfte gestützte Hand beinahe trotzig, so drückte der in die Ferne gerichtete Blick des Mädchens Wehmut aus. Majas Neugier war erwacht.
Sie umrundete das Standbild und entdeckte ein eisernes Schild zu Füßen des Mädchens.
»Mina Knallenfalls«, las Maja den Namen des Mädchens. Kunst interessierte Maja, und sie beschloss, Ulbricht nach Mina Knallenfalls zu fragen, bevor sie ihren Weg durch die Poststraße fortsetzte. Trotz der frühen Stunde herrschte schon reger Betrieb, und die Schaufensterbeleuchtung der umliegenden Geschäfte kämpfte vergeblich gegen das triste Grau des Tages an. Lieferwagen bahnten sich im Schritttempo den Weg durch die hektischen Passanten. Es grenzte an ein Wunder, dass weder Fußgänger verletzt noch Blech beschädigt wurde - eng genug war es für die schweren Fahrzeuge jedenfalls. Maja beneidete die Fahrer der Paketdienste nicht.
An einer Straßenecke gab es einen Juwelier. Maja trat näher und sah sich im Spiegelbild der großen, blank geputzten Scheibe. Nachdenklich betrachtete sie sich. Ein ebenes Gesicht mit einer, wie sie fand, etwas zu großen Nase, gerahmt von markanten Wangenknochen. Auf Lippenstift verzichtete sie an vielen Tagen, so auch heute. Ihren Mund mochte sie - um die geschwungenen Lippen würde sie so manches Model beneiden, da war sie sicher. Die halblangen, kastanienbrauen Haare hatte sie unter einer Wollmütze versteckt.
Einige Pfund hatte sie schon wieder zugelegt. Das lag nicht etwa an der dicken Jacke, die sie wegen des feuchtkalten Wetters trug, sondern schlicht daran, dass sie ihre Besuche im Fitnessstudio kaum, dass die Anmeldegebühr bezahlt war, schon wieder vernachlässigt hatte.
Selbst schuld, dachte sie, während ihr Blick nun über die prachtvoll glänzenden Auslagen im Geschäft huschte. Wer kaufte sich solch sündhaft teuren Schmuck? Ihr Sold als Hauptkommissarin bei der Kripo in Hameln reichte da bei Weitem nicht.
So etwas ließ man sich schenken. Von einem Mann. Doch einen Mann, der ihr Schmuck schenkte, gab es in ihrem Leben nicht.
Den Seufzer, der über ihre Lippen kam, bemerkte sie selber nicht. Erst, als ihr Blick über die glänzenden Eheringe im Schaufenster strich, spürte sie eine
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