Blutgrab
dass er sich allerdings anders orientieren würde, hatte sie bisher immer ausgeschlossen, nein, sie hatte diese Möglichkeit verdrängt.
Als sie ihn gestern Abend auf ihren schlimmen Verdacht ansprach, war er förmlich ausgerastet. Er hatte ihre Vermutung weder bestätigt noch abgestritten, sie lediglich als eine eifersüchtige und hysterische Zicke tituliert. Rasend vor Wut war er aus der gemeinsamen Wohnung gestürmt. Natürlich war sein Handy ausgeschaltet gewesen, als sie versuchte, ihn zu erreichen.
Carolin hatte entsprechend schlecht geschlafen und war übernächtigt und schlecht gelaunt aufgestanden. Sie wusste nicht, wie es mit Nils weitergehen sollte, und diese Unsicherheit fraß sie förmlich auf.
Als sie mit zehnminütiger Verspätung im Laden angekommen war, gab es einen Rüffel von Georg Brabender, ihrem Chef, der ihr im gleichen Atemzug mitgeteilt hatte, dass Sabine, eine Kollegin, krank geworden war. Kirsten, ihre andere Kollegin, war im Urlaub, somit würde Carolin den Vormittag im Laden mehr oder weniger alleine bestreiten.
Georg Brabender war seit einer knappen Stunde unterwegs, um seine Besorgungen zu erledigen. Die morgendliche Runde durch Banken und die Leerung des Postfaches ließ er sich nicht nehmen, seitdem Carolin hier arbeitete. Wahrscheinlich hockte er in irgendeinem Straßencafe und ließ sie bewusst lange allein im Laden. Als Strafe. Das traute Carolin ihm zu.
»Wir haben uns entschieden«, riss sie die Stimme des Bräutigams aus den Gedanken. Er tippte auf ein Paar Ringe aus Weißgold, zierlich in der Ausführung, mit fast unscheinbarem Muster am Außenrand. »Die sollen es sein.«
Seine Braut schmiegte sich, nun wieder versöhnt und sichtlich glücklich, an ihn und himmelte ihren künftigen Mann an. Auch wenn es vor wenigen Minuten nicht so ausgesehen hatte, schien ein Happy End zwischen den beiden nun nicht mehr ausgeschlossen.
»Gern.« Carolin Mertens nickte erleichtert und schickte sich an, das Auftragsformular für die Gravur aus dem Schoß zu ziehen, als die Ladentür aufflog.
Zwei dunkel gekleidete Männer stürmten in das Schmuckgeschäft, dann überschlugen sich die Ereignisse. Plötzlich hielten sie Waffen im Anschlag, kurzläufige Maschinenpistolen. Die Gesichter der Männer waren mit grauenerregenden Masken verhüllt, und Carolin wusste sofort, was das zu bedeuten hatte.
Ein Überfall, ausgerechnet jetzt, wo ich alleine bin, schrie alles in ihr. Wann endet meine Pechsträhne endlich?
Während einer der beiden Männer die drei Personen im Laden mit seiner Waffe in Schach hielt und bezeichnend den behandschuhten Zeigefinger auf die Lippen hielt, drehte sein Komplize das Türschild auf »Geschlossen« und warf einen kleinen Holzkeil auf den Boden, den er mit einer geschickten Fußbewegung unter die Tür schob. Dann wirbelte er herum und zog einen dunklen Sack aus dem Anzug, den er vor Carolin auf die Theke warf. Mit der Mündung seiner Maschinenpistole deutete er auf die gläsernen Vitrinen hinter Carolin.
Mit mechanischen Bewegungen ergriff sie den Sack und machte sich ohne nachzudenken daran, den Inhalt der Vitrinen in den Sack zu stopfen. Dabei griff sie wahllos zu, packte diamantbesetzte Colliers ebenso ein wie goldene Uhren, die den Wert eines Mittelklassewagens hatten. Während sie handelte, bemerkte Carolin die tödliche Stille im Laden. Niemand wagte es, ein Wort zu sprechen, auch das junge Paar stand wie angewurzelt da und wurde Zeuge des Raubüberfalls. Die Braut weinte lautlos, als sie sah, dass Carolin dem Räuber den mit Schmuck und Uhren gefüllten Sack überreichte. Er griff mit einer hektischen Handbewegung danach, dann blickte er sich um. Als er die kleine Überwachungskamera hinter der Theke erblickte, riss er die Waffe hoch und schoss. Die Kugel traf die kleine Cam und zerlegte sie in ihre Bestandteile. Dann nickte der vermummte Mann seinem Partner zu. Während er den Keil unter der Tür mit der Stiefelspitze fortkickte, trat auch sein Komplize den Rückzug an. Der Spuk hatte eine, höchstens zwei Minuten gedauert, die allen Beteiligten jedoch wie eine Ewigkeit vorgekommen waren.
Carolins Blick fiel auf den Bräutigam, der sichtlich unruhig wurde.
Oh nein, schrie alles in ihr. Er wird doch jetzt nicht den Helden raushängen lassen!
Der junge Mann schien über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl zu verfügen. Als er die letzte Gelegenheit sah, die Täter von der Flucht abzuhalten, schob er seine Zukünftige fort und stürmte los.
»Bleibt
Weitere Kostenlose Bücher