Blutgrab
sich orientierte. Einige Namensschilder am Klingelbrett neben der Eingangstür waren von besonders intelligenten Zeitgenossen mit dem Feuerzeug bearbeitet worden und wiesen Brandflecken auf, sodass manche der größtenteils fremdsprachig klingenden Namen kaum zu lesen waren.
Gertz hatte Glück - sein Klingelschild war von den sinnlosen Feuerzeug-Attacken verschont geblieben. Und so landete Ulbrichts Zeigefinger auf dem vergilbten Knopf.
»Er wird um diese Zeit arbeiten«, vermutete Maja, nachdem sich nichts tat.
Ulbricht zuckte die Schultern und klingelte erneut. Diesmal ließ er den Zeigefinger lange auf dem Knopf ruhen. Sein zweiter Versuch war von Erfolg gekrönt, denn kaum, dass Ulbricht die Hand sinken ließ, ertönte der Türöffner mit einem Geräusch, das Zahnschmerzen verursachen konnte.
»Na guck mal - auch ich muss mal Glück haben«, bemerkte Ulbricht zufrieden und stemmte sein Körpergewicht gegen die Haustür.
Maja folgte ihm. Drinnen herrschte schummriges Licht, das durch eine Milchglasscheibe in der Hoftür in den gefliesten Flur fiel. Prospekte lagen auf dem Boden herum; an den Wänden eine Batterie verbeulter Briefkästen aus Blech. Maja bemerkte den strengen Geruch, eine Mischung aus Knoblauch und angebranntem Mittagessen, und rümpfte die Nase.
»Ganz oben«, rief jemand einige Etagen über ihnen und beugte den Oberkörper über das hölzerne Geländer. Fast gleichzeitig flammte die Beleuchtung auf und entriss der Dunkelheit die bis zu diesem Moment verborgenen schmuddeligen Wände. Ein enges Treppenhaus mit knarrenden, ausgetretenen Holzstufen führte nach oben.
»Ganz hoch?« Ulbricht stöhnte. »Ich hab es irgendwie geahnt.«
»Jeder Gang macht schlank«, lästerte Maja und schenkte ihm ein Lächeln.
»Du hast gut reden und kannst dir nach dem Essen bei McDonald's das Joggen sparen, aber ich bin ein alter Mann«, zeterte Ulbricht während sie die Stufen in die oberen Stockwerke des Altbaus bewältigten.
»Ein alter Mann, der viel zu lange geraucht hat und jetzt mit dem Teer in der Lunge zu kämpfen hat«, konterte Maja schlagfertig. Sie spielte darauf an, dass er versucht hatte, sich das Rauchen abzugewöhnen.
Er antwortete nicht und sparte sich seine Atemluft für die Begrüßung von Nils Gertz, der lässig im Türrahmen lehnte, als sie unter dem Dach des Altbaus angekommen waren. Maja fand, dass der junge Mann eigentlich gar nicht in diese Umgebung passte - er war groß, breitschultrig und von athletischer Statur. Seine Haare trug er modisch kurz, zur Baggy-Jeans ein grünes Kapuzenshirt.
Als er die Besucher sah, verfinsterte sich sein Blick, und er verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.
»Ich kaufe nichts an der Tür, also zischen Sie ab.«
»Oh«, lächelte Maja. »Wir wollen Ihnen doch nichts verkaufen, ganz im Gegenteil.« Nachdem Ulbricht atemlos oben angekommen war, übernahm Maja das Reden. Er blickte sie dankbar an.
»Dann sind Sie Gerichtsvollzieher? In meiner Wohnung gibt es keine pfändbaren Gegenstände, das habe ich Ihren Kollegen aber schon am Telefon gesagt. Außerdem habe ich wegen dieser blöden Sache eine Ratenzahlung angeboten.«
»Wir sind auch keine Vollstreckungsbeamten«, erwiderte Maja unbeeindruckt. »Mein Name ist Maja Klausen von der Kriminalpolizei.« Sie deutete auf Ulbricht, der immer noch nach Luft rang. »Das ist Hauptkommissar Ulbricht - er leitet die Ermittlungen.«
»Welche Ermittlungen?«
»Sicherlich haben Sie von Carolin Mertens erfahren, dass sie heute überfallen wurde.«
»Natürlich weiß ich das, war eben im Radio. Lokalnachrichten auf der Wupperwelle.« Er winkte ab.
Ulbricht hatte in den letzten Jahren genügend Bekanntschaft mit den Reportern des lokalen Radiosenders gemacht. Immer wieder hatten sich Stefan Seiler und Heike Göbel massiv in seine Arbeit eingemischt und sich so seinen Unmut zugezogen. Ulbricht reagierte allergisch darauf, wenn Reporter ihre Nase in seine Arbeit hineinsteckten, nur um eine heiße Story zu ergaunern. Er hoffte, dass ihm diesmal der Kontakt zu Seiler und Göbel erspart blieb, hatte aber keine großen Hoffnungen. Allein der Raubüberfall war brisant genug, um die ehrgeizigen Hörfunk-Journalisten auf den Plan zu rufen.
Nils Gertz schnaubte. »Und was wollen Sie von mir?« Seine Augenbrauen verengten sich zu einem Strich, und Maja fragte sich, ob die Brauen gezupft waren. Gertz schien sehr eitel zu sein, das war ihr auf den ersten Blick aufgefallen.
»Wir haben ein paar Fragen an Sie.«
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