Blutheide
Gang gegangen, aber Ben fühlte sich trotzdem irgendwie schlecht. Die Tatsache, dass der Zettel eindeutig auf den Serientäter hinwies, war gleichzeitig der Beweis, dass Bene ihn nicht angelogen hatte. Ben wusste nicht, ob er einfach nur froh darüber sein sollte oder ob er sich schämen müsste, eine Verwicklung seines Bruders in einen Mordfall überhaupt in Betracht gezogen zu haben. Darauf würde er heute keine Antwort mehr finden. Was ihn jedoch mehr als einmal schlucken ließ, war die Frage, ob es purer Zufall war, dass Bene die Leiche gefunden hatte, oder ob der Täter es so geplant hatte. Ben nahm Letzteres an, wenn er an die wahrscheinliche Verwechslung von Laura und Leonie dachte. Hatte der Täter es im Grunde auf Bene und seine Familie und damit auch auf ihn, Ben, abgesehen? Waren sie alle gefährdet? Ben sträubten sich die Nackenhaare, und wie ein nasser Hund schüttelte er die üblen Gedanken ab. Jetzt wollte er nur noch nach Hause, unter die Dusche und mit Glück noch für ein paar kurze Stunden ins Bett. Alles Weitere würde er am Morgen in Angriff nehmen. Nur eines musste er jetzt noch erledigen. Er zog sein Handy aus der Tasche seiner Jogginghose und wählte die Nummer seines Bruders, der, wie Ben es erwartet hatte, bereits nach dem ersten Klingeln am Hörer war. »Bene? Mach dir keine Sorgen – niemand wird dich verdächtigen. Alles weitere morgen, ich melde mich. Aber eines noch: Pass auf dich auf!«
06.17 Uhr
Katharina stand vor der Eingangstür des Lüneblick-Verlagshauses. Ein bisschen Schlaf hatte sie zwar noch gefunden, doch dann war sie um kurz nach fünf wieder aufgewacht und hatte beschlossen, sich direkt auf den Weg zum Zeitungsarchiv zu machen. Diese Idee hatte sich vor dem Einschlafen noch verfestigt, denn sie hatte so ein Archiv in ihrer Dienstzeit in München auch schon einmal mit Erfolg genutzt, um an Informationen zu gelangen.
Das Gebäude war unscheinbar und kleiner, als sie es erwartet hatte. Aber sie musste sich auch ins Gedächtnis rufen, dass sie hier nicht die Münchener Tageszeitung aufsuchte, sondern den Verlag einer Regionalzeitung. So ganz hatte sie sich vom Großstadtleben noch nicht entwöhnt. Entsprechend hatte auch der Mitarbeiter vom Lüneblick reagiert, der ihr auf ihr Klingeln hin irritiert die Tür aufgeschlossen hatte.
»Die Geschäftszeiten beginnen erst um 8.30 Uhr, falls sie eine Kleinanzeige aufgeben wollen. Im Anzeigenbüro ist jetzt noch niemand«, hatte er mürrisch gesagt. »Oder kommen sie vom Kurierdienst?«
Katharina war auf seine Bemerkung nicht weiter eingegangen, denn sie wollte keine weitere Zeit verlieren. Sie war überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein und wollte die Bestätigung so schnell wie möglich finden. Also hatte sie sich ausgewiesen und sich von dem älteren Herrn den Weg zum Archiv zeigen lassen. Begeistert war er nicht gewesen, aber das waren die wenigsten, wenn die Polizei ins Haus kam. Er schlurfte betont langsam vor ihr her. Im Archiv war noch niemand, der ihr hier behilflich sein konnte, doch das war ihr nur recht. Sie wollte sowieso lieber in Ruhe in den alten Berichten stöbern und brauchte niemanden, der mitbekam, wonach sie suchte. Sie hatte sich lediglich kurz von dem älteren Herren erklären lassen, wie das Archiv sortiert war, beziehungsweise wo der Computer für die digitalisierten Daten stand, und hatte den Mann dann wieder an seine Arbeit am Empfang gehen lassen. Nun saß Katharina vor dem flackernden Bildschirm und überlegte, wie sie am sinnvollsten vorgehen sollte. Sie hatte keine Ahnung, wann diese vergleichbaren Fälle geschehen waren, nicht einmal, ob Ben selbst da schon als Kommissar in Lüneburg tätig gewesen war. Nach der Jahreszahl konnte sie also nicht suchen. Sie versuchte es mit den Schlagworten Mord, Lüneburg, Wasser, Verkehrsunfall und startete die Suche. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das System einige Treffer ausspuckte. › Vermeintlicher Verkehrsunfall als Mord entlarvt‹ – diese Schlagzeile fiel ihr zuerst ins Auge. Während sie am Bildschirm las, druckte sie den Bericht parallel auf dem bereitstehenden Drucker aus. Das war es – Ben hatte recht gehabt!
07.37 Uhr
Nachdem er die Fußbodenluke geöffnet hatte, spähte er nach unten in den Laubenkeller. Das Loch besaß keine Lampe, doch durch das einfallende Licht von außen konnte er ausmachen, dass das Mädchen noch immer so zusammengekauert dasaß wie gestern, als er sie verlassen hatte. Er konnte es ihr nicht verdenken und
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