Blutherz - Wallner, M: Blutherz
schwarzen Mantel hat mich verfolgt, mit schwarzem Hut, schwarzem Schleier, ach, alles an ihm war schwarz.«
»Ich kann allerdings niemanden entdecken, auf den diese Beschreibung passt.«
»Er muss in ein Haus gegangen sein.« Sie starrte auf den leeren Punkt, wo sie den Unbekannten vermutet hatte.
»Das wäre natürlich möglich«, antwortete der Bobby.
Samantha wollte noch etwas hinzufügen; doch was sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, erschien ihr so unwahrscheinlich, dass sie lieber den Mund hielt. Sie hatte sich ohnehin schon lächerlich gemacht. Musste der Officer nicht glauben, einen hysterischen Teenager vor sich zu haben, der bloß Aufmerksamkeit erregen wollte?
»Ja, dann … kann mir ja jetzt nichts mehr geschehen«, antwortete sie und dankte dem Uniformierten, der den Finger zum Gruß an den Helm legte und weiterpatrouillierte. Sam aber starrte ans andere Ende der Straße. Sie täuschte sich nicht: Halb verborgen von einer Mülltonne, sah sie einen großen schwarzen Hund. Er hob den Kopf und schaute die Krankenschwester unverwandt an. Ohne Hast machte er kehrt und verschwand in dem schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern. Samantha hatte noch nie ein Tier dieser Art gesehen, doch wenn sie nicht alles täuschte, besaß der schwarze Hund die Gestalt eines Wolfes!
11
Man hatte ein Spenderorgan für Andrew gefunden. Schon heute Nacht sollte es so weit sein, Sir Kennock würde operieren und dem Jungen eine leistungsstarke neue Niere einsetzen. An diesem Abend wartete die gesamte Abteilung auf das Eintreffen der Niere; der Chefchirurg hatte sich persönlich aufgemacht, das Organ zu holen. Genau genommen holte er die tapfere Spenderin, Mrs Halifax, die in einem anderen Londoner
Krankenhaus lag und sich bereit erklärt hatte, für Andrew auf eine ihrer Nieren zu verzichten.
Sam hatte das Zimmer für Mrs Halifax bereit gemacht. Sie hatte die Kissen mit besonderer Sorgfalt bezogen und Blumen und eine Tafel Schokolade auf dem Nachttisch arrangiert; Andrews Retterin sollte sich hier willkommen fühlen. Danach besuchte Sam den Jungen. Den ganzen Tag über war seine Mutter bei ihm gewesen, eine stille und ernste Dame; sie hatte sich kurz von ihm verabschiedet, um zu telefonieren. Andrew wirkte ruhig und schien in besserer Verfassung zu sein als in den Tagen zuvor.
»Seit wann weißt du es denn?« Sam öffnete das Fenster, kühl und weich strich die Nachtluft herein.
»Länger als du.« Er lächelte. »Die haben ja schon vor einer Woche mit den Tests angefangen.«
»Tests?«
»Blutzucker, Antikörper, Eiweiß im Urin.« Als sei er nicht erst elf Jahre alt, sondern Medizinstudent im dritten Semester, zählte Andrew die Fachbegriffe auf. »Als sie mit dem Ultraschall auf meinem Bauch rumgemacht haben, wusste ich Bescheid. Sie haben den Platz ausgemessen, den die neue Niere bei mir drin brauchen wird.«
»Warum überwachst du nicht gleich die ganze Operation? Und gibst Sir Kennock ein paar gute Tipps?«
Sie lachten. »Weißt du, dass sie meine alte Niere gar nicht austauschen?«, protzte der Junge mit seinem Wissen. »Die neue Niere wird hier …« Er zeigte auf seine Leistengegend. »Genau hier eingepflanzt.«
Bloß weil Samantha auf der Station die Betten machte und die Urinflaschen raustrug, war sie nicht von gestern. »Die Niere liegt auf der Darmbeinschaufel auf und wird an die großen Blutgefäße angeschlossen. Ich weiß. Und deine alte
Niere wird in Schlaf gelegt, genau wie du gleich.« Sie beugte sich über ihn. »Wenn du erwachst, beginnt ein neues Leben für dich.«
»Ein neues Leben.« Andrew sah sie so hoffnungsvoll an, dass Sam nicht anders konnte, als ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben.
»Nicht mehr im Bett liegen müssen, nicht mehr an die blöde Maschine angeschlossen werden …«, flüsterte er.
Schritte von draußen, Sam hatte kaum Zeit, sich aufzurichten, schon stand Tante Margret im Zimmer.
»Besuch für dich.«
Natürlich dachte Sam, dass Andrew Besuch bekam, aber die Oberschwester winkte ihre Nichte mit einer Kopfbewegung heran.
»Wir sehen uns dann in deinem neuen Leben«, sagte sie zum Abschied und folgte der Tante.
»Wie kannst du deinem Bekannten erlauben, dich hier zu besuchen?«, fragte die Oberschwester streng.
»Bekannten? Ich weiß nicht …«
»Der Bursche war so hartnäckig, ich konnte ihn einfach nicht loswerden.« Margret blieb stehen. »Samantha, du nimmst deine Aufgabe nicht ernst genug. Dieser Beruf verlangt Verantwortungsgefühl, Opferbereitschaft
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