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Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Blutherz - Wallner, M: Blutherz

Titel: Blutherz - Wallner, M: Blutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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weit ausgebreitete Schwingen. Seine Glieder bewegten sich unglaublich schnell. Sam begriff, dass ihr Kamerad und Weggefährte sich wahrhaftig in eine Fledermaus verwandelt hatte.
    »Hast du gesehen, wo Fred den Schlüssel hat? Den Silberschlüssel, mit dem er alle Türen hier runter aufgesperrt hat?«
    Statt einer Antwort hörte sie ein kurzes Fiepen.
    »Um den Hals. Er trägt ihn um den Hals!« Vor ihr flatterte es gewaltig. »Den brauchen wir! Kannst du ihn holen?«
    Wieder das Fiepen. Etwas huschte an Sams Kopf vorbei, ihr wehten die Haare ins Gesicht. Es flog zum Gitter, zwischen den Stäben hindurch, schon hatte die Fledermaus die unterirdische Zelle verlassen.
    »Viel Glück, Dickie!«, rief Sam ihrem mutigen Freund hinterher. Dann war sie allein.

33
    S ie saß gegen die Mauer gelehnt, beide Hände lagen auf ihrem Bauch. Während sie saß und nichts unternahm, als auf die Geräusche von nebenan zu lauschen, während sie hoffte, die Kreaturen, von denen sie nur durch die Gitterstäbe getrennt war, würden nicht wieder zu schrecklichem Leben erwachen, beschlichen Samantha merkwürdige Gedanken. Sie stellte sich vor, wie Taddeusz, ihr monströser Geliebter, sich in London von einem großen jungen Mann ebenfalls in eine kleine Fledermaus verwandelte. Wie er als Nachttier den Flug über England antrat, über die Hügel von Cambridge, über Nottingham und Manchester flog, hinein ins Gebiet der großen Seen. Wie er beim Solway Firth das Meer überquerte und schließlich auf dem Hadrianswall landen und sich rückverwandeln würde. Seine Reise hatte nur einen Zweck: Sam von den Lebenden zu den Toten zu befördern. Denn egal ob sie getötet oder in einen Vampir verwandelt würde, hinterher wäre sie kein Menschenwesen mehr. Taddeusz, den sie fürchten, den sie verfluchen musste, war ihr ärgster Feind. Doch statt ihm Hass und Abscheu entgegenzubringen, hatte sie Sehnsucht nach ihm, ein Teil von ihr freute sich auf das Wiedersehen.
    In der Ecke der alten römischen Gefängniszelle kauernd, schlug sie die Hände vors Gesicht. Was auch passiert war, was in den nächsten Stunden noch alles geschehen würde, sie fühlte sich diesem Vampir auf unerklärliche Weise nahe, es gelang ihr nicht, ihm alles denkbar Schlechte an den Hals zu wünschen. Er war ein Mörder, ein Leichenschänder, ein unnatürliches Geschöpf der Dunkelheit, er befehligte Mächte, die es bedingungslos zu bekämpfen galt. Wahrscheinlich befehligte er auch die beiden Alten, die diese Festung hüteten und
in ihr ein Heer von Unglücklichen gefangen hielten. Aber bei alledem wusste Sam, sie konnte Teddie nicht hassen. War ihre unglückliche Liebe wirklich der einzige Grund dafür, oder gab es noch ein geheimes Band, das zwischen ihnen bestand? Samantha strich über ihren Bauch. Der kleine Bewohner hatte sich nicht wieder geregt, ihm gefiel es an diesem Ort. Hier waren die Pforten des Bösen, hier spürte man den Sog von Kräften, die aus verborgener Tiefe emporwuchsen; doch das Kind fühlte sich wohl.
    Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber andere schienen es zu wissen. Als hätte ein geheimes Uhrwerk die volle Stunde geschlagen, begannen sich die Jünger Fortrius in ihrem Verlies zu regen. Zuerst wurde das Keuchen lauter, dann ließen Geräusche darauf schließen, dass die Wesen auf die Beine kamen. Ein rhythmisches Stampfen begann, das Sam nicht anders deuten konnte, als dass die Unglücklichen hinter den Gitterstäben im Gleichschritt auf der Stelle marschierten. Gleich Urwesen stießen sie Laute aus, die bald in ein einziges Wort mündeten: »Fortriu!« Zugleich war es ein Flehen, eine quälende Sehnsucht, den Herrscher aus der Tiefe hervorzulocken.
    Sam stand auf und floh in den hintersten Winkel. Die stampfende Horde wurde wild und stieß gegen die Eisenstäbe. Sie rammten das Gitter, es dröhnte Metall; Sam schien, als ob die ganze unterirdische Festung in Bewegung geriet.
    »Dickie«, wimmerte sie. »Dickie, wo bleibst du nur?«
    Plötzlich krümmte sie sich vor Schmerz. Das Kind schien den Aufruhr mitzuerleben, es strampelte, boxte und stieß, es gebärdete sich wie verrückt. Sam versuchte noch, ihren Rucksack zu erreichen, um die Bariactar-Tropfen hervorzuholen, doch das Toben ihres eigenen Kindes wurde so ungestüm, dass der Schmerz sie überwältigte, bewusstlos sank sie zu Boden.
Hinter ihr wüteten die entmenschten Jünger des Herrschers der Tiefe.

    Fledermäuse sind bestens dafür geeignet, sich in der Dunkelheit fortzubewegen,

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