Blutherz - Wallner, M: Blutherz
erkannte ihren Retter. Ein Laut des Schmerzes und der Erleichterung entfuhr ihr. Das Silberding fiel auf sie zu, Sam fing den Schlüssel, warf den Rucksack über die Schulter und wollte zur Tür. Um ans Schloss zu kommen, musste sie jedoch dicht an den Jüngern vorbei. Sie streckte den Arm aus, um den Schlüssel in die Öffnung zu schieben. Sofort drängte Fortrius Heer in die gleiche Richtung. Das Gitter bebte, überall waren Hände und Krallen, die Hinteren sprangen auf die Schultern der Vorderen, beinahe brachten sie das Gitter zu Fall. Als sie den Schlüssel fast eingeführt hatte, verrenkte sich einer der Jünger und attackierte sie mit dem Fuß. Ohne die Hilfe der Fledermaus hätte Samantha der Mut verlassen. Richard flog zwischen die Tobenden hinein, schlug mit den Krallen zu, biss in die Gliedmaßen der Jünger, stieß auf ihre Augen ein und zwang sie, sich für Momente zurückzuziehen. Lange genug, damit Sam den Schlüssel herumdrehen konnte. Die Tür ging auf, sie rannte.
»Komm!«, schrie sie dem Freund zu.
Schon war das helle Flattern über ihr, dahinter heulten die Jünger vor Wut.
Benommen, wie sie war, taumelte Sam zur Tür mit dem Guckloch, benutzte den Schlüssel zum zweiten Mal und lief in den Rundsaal.
Der Stock mit dem Silberknauf sauste von oben herab und traf Sam an der Schulter, sodass sie ächzend zu Boden ging.
Am Eingang zum Saal stand Fred, Myrtle-Mae bewachte die Tür von der anderen Seite.
»Weiter kommst du nicht, Kind!«, kreischte die alte Frau. Sam sah das Stockende zum zweiten Mal hochsausen, schützte ihren Bauch und rollte sich herum. Fred schlug ins Leere. Der Schwung riss ihn weiter, er taumelte vorwärts. Im rechten Augenblick kam Samantha hoch, duckte sich und rammte dem Mann im Gehrock ihren Kopf in den Unterleib.
»Aaah …«, machte Fred, japste nach Luft und musste erleben, wie die Ohrfeige einer verzweifelten Schwangeren schmeckt. Sam schlug dem Alten mit solcher Wucht ins Gesicht, dass ihm der Zylinder vom Kopf flog. Myrtle-Mae konnte ihrem Mann nicht zu Hilfe eilen, sie hatte alle Hände voll zu tun, sich die Fledermaus vom Leib zu halten. Die alte Dame sprang und zappelte, hielt ihren Hut fest und konnte doch nicht verhindern, dass sie gebissen und von den scharfen Krallen gekratzt wurde.
Samantha keuchte und meinte, vor Anstrengung gleich wieder ohnmächtig zu werden, doch schließlich erreichte sie den Fuß der Treppe und drehte sich um. »Das genügt!«, schrie sie, als Dickie nicht von Myrtle-Mae abließ. Sam lief die Stufen hinauf, über sich hörte sie das Flattern der Fledermaus. Sie erreichten das obere Stockwerk, mit lautem Knall warf sie die Tür zum Keller zu und sperrte ab.
»Das … hätten wir«, hechelte sie, schleppte sich zum Sofa und sank darauf.
Richard war durch den errungenen Sieg nicht zu beruhigen, aufgeregt huschte er zur Pendeluhr. »Du hast keine Zeit, dich auszuruhen, wir müssen los, müssen weiter, sofort, nun mach schon!«, schrie Richard die Erschöpfte an. Doch alles, was Sam verstand, war ein unausgesetztes Fiepen.
»Ist ja gut, ich komme gleich«, murmelte sie. »Nur ein paar Minuten …«
Dickie flog zum Kamin und stieß eine Fotografie vom Gesims, krachend ging sie zu Boden. Sam starrte das Bild an: Es zeigte Fred und Myrtle-Mae, zwischen ihnen lächelte Teddie in die Kamera.
»Er ist …« Sie hob den Blick. »Er ist bald hier?«
Aufgeregt fiepte die Fledermaus.
Sam stand auf. »Dann müssen wir schleunigst hier weg.«
Richard segelte vor seiner Freundin zum Ausgang.
»Halt!« Vor der Pforte blieb sie stehen und zeigte auf eine Glastür, die in die Garage führte. »Zu Fuß haben wir keine Chance.« Sam lief in die Garage, wo mehrere Fahrzeuge standen: ein Pkw, ein Gemüselaster und ein Mofa. An der Wand hingen die Schlüssel.
»Keine Zeit, erst Fahrstunden zu nehmen«, entschied sie, schnappte sich den Mofaschlüssel, lief an den Autos vorbei und schwang sich auf den Roller. Sie startete und legte den Gang ein. Es ruckte, fast fiel sie wieder herunter. Sam klammerte sich am Lenker fest und rollte auf das Tor zu. Sie zog an dem Bändel, das die Garage von innen öffnete. Kalte Nachtluft schlug ihr entgegen, draußen lag friedlich der Hügel des Hadrianswalles.
»Wir sind frei«, flüsterte sie.
Richard hielt sich flatternd über ihr in der Luft. Sam schaute nach hinten, das Fahrzeug hatte keinen Rücksitz.
»Ich weiß, du würdest dich gerne zurückverwandeln, aber ich fürchte, zu zweit sind wir für das
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