Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
gewechselt und drückte ihr Weinglas, als wollte sie es zerquetschen. Barbara hörte gebannt zu und wickelte sich noch fester in ihre Decke. Ihre Neugier war stärker als das schlechte Gewissen, Maria noch einmal diese schlimme Zeit durchleben lassen zu müssen.
»Woher wussten denn alle, dass Valentin tot war? Cees hat mir erzählt, nie wurde …«
»… seine Leiche gefunden. Ja.« Maria lachte gequält auf und schüttelte den Kopf. Mehrmals hintereinander sprach sie ein tonloses »Nie« vor sich hin, dann stieß sie hervor: »Gott sei dank habe ich ihn nicht geliebt, den Valentin. Sonst hätte mich das, was danach kam, wahnsinnig gemacht. Aber entsetzliche Sachen hab ich mir trotzdem ausgemalt. Und noch heute, wenn das Wetter grauschwül und heiß, ohne Luft über dem Dorf hängt, packt mich so ein blutiges Bild.«
»Hat dies auch etwas mit unserm Eichbaum zu tun?«, fragte Barbara zögernd.
»Nein, Barbara. Aber, wo du schon fragst, warum eigentlich nicht? Ich weiß es nicht«, erwiderte Maria. »Alles ist möglich. Doch es ist ja alles nur Phantasie. Was weiß ich schon? Dass sie ihn gefoltert haben? Nicht einmal dies. Und wenn doch? Vielleicht an unsere Eiche gefesselt?«
Maria griff zur Weinflasche. Doch schenkte sie nicht sich ein, sondern Barbara. Dann drehte sie den Docht der Öllampen höher. Das hellere Licht ließ Barbara aufatmen. Die gerade gesprochene Sätze hatten ein Grauen in ihr wachgerufen, und mit schreckgeweiteten Augen starrte sie in Marias versteinertes Gesicht.
»Jetzt musst du auch den Rest ertragen, Barbara«, hörte sie Maria weitersprechen. »Das ist der Fluch meiner Erinnerung. Einmal angeschoben purzelt sie wie toll weiter. Wie eine den Hang hinabstürzende Fuhrbütte lässt sie sich nicht mehr aufhalten. Dabei … was außer dem Ring habe ich denn zu sehen bekommen? Nichts! Drei Tage später brachte mir der Achkarrer Priester Valentins Ring. Sagte, dass Gott mir den Mann nach seinem Ratschluss genommen habe. Eben all das, was die Priester schwatzen müssen, weil sie hilflos sind.«
»Aber woher dann deine schrecklichen Bilder?«, fragte Barbara gequält. »Verwünschen tu’ ich meine Neugier! Wie gern würd ich dir dies alles wiedergutmachen.«
»Es sollt halt so kommen, Barbara«, erwiderte Maria schwach und trank ihr Glas leer. »Und so neugierig wie du jetzt, war ich damals auch. Hab den Priester so lange bearbeitet, bis er mit allem herausgerückt ist. Dass es die Franzosen gewesen sein müssen, war das Erste. Das Zweite, dass sie bei Achkarren einem Bauernburschen ein kleines, dick umwickeltes Stoffbündelchen gegeben haben, das dieser für den Lohn eines Stückes Speck dem Priester bringen sollte. Der ‘Liebsten auszuhändigen’, wie der Bursche noch schlotternd vor Angst berichtete. Und das Dritte? Dass in diesem Bündelchen Valentins abgeschnittener blutiger Finger lag. Mit seinem Ring dran«.
Marias Worte wirbelten in Barbaras Kopf, als hätten sie einen ihr fremden Sinn angenommen. Es machte ihr Mühe, sie in ihrer Bedeutung zu fassen, sie in vernünftiger Ordnung nachvollziehen zu können. Dabei hatte sie so starkes Herzklopfen, dass sie sich einbildete, unter ihrem Hemd würde es zucken. Für einen Augenblick konnte sie Maria nur ohnmächtig anstarren, wie sie sich mit einem Taschentuch die Augen trocknete. Doch dann sprang sie auf und schloss sie stumm in ihre Arme.
Eine Viertelstunde später hatte sich Maria wieder gefangen, lächelte Barbara befreit an und schenkte sich ein neues Glas Wein ein. Sie sollte Fröhlicheres erzählen, meinte sie und hob ihr Glas. Jetzt müssten sie sich zutrinken. Denn nun folge der schönere Teil. Doch kein Wort würde sie erzählen, wenn Barbara nicht noch ein Stück vom Buchweizenkuchen esse.
»Und kein Wort sollst du loswerden, bevor du nicht meinen Vin mousseux gekostet hast«, entgegnete Barbara und verschwand in der Dunkelheit. Zurück kam sie mit einer Flasche.
»Im Hof versteckt. Damit sie schön kalt bleibt«, erklärte sie. »Eine von zweien. Dies sollte um Mitternacht die Überraschung sein. Und für eine schöne Geschichte ist ihr Inhalt der beste Begleiter!«
Mit großen Augen verfolgte Maria, wie Barbara die Packschnur zerschnitt und dann die Flasche aus dem Korken drehte. Wie fröhliche Musik wirkte das Zischen, und in diesem Moment fühlten beide, dass das Leben wieder von ihnen Besitz ergriff. Andächtig schaute Maria auf das lebendige Gebizzel in ihrem Glas, schnupperte daran und schloss für eine Sekunde
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