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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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über die Predigt vom Vormittag oder philosophierte über das vergangene Jahr. Fast alle freuten sich über den Schnee, und vor allem die Kinder hofften an diesem Silvestertag, dass der Schnee an Neujahr so hoch liegen würde, dass sie endlich einmal wieder ihren Wintervergnügungen nachgehen könnten.
    Es war ein gutes Jahr, weil es kein schlechtes war. So ließ sich die Meinung aller zusammenfassen. Von Unwettern verschont, mit einer durchschnittlichen Ernte gesegnet, nicht mehr Ungeziefer als sonst auch, keine Brände oder Überschwemmungen, keine Steuererhöhungen, nur mäßig verteuerte Preise. Vor allem aber keine Seuchen und kein Krieg. Dafür konnte man schon einmal die Kaiserin im fernen Wien ins Gebet einschließen. Unter ihrer Regentschaft herrschte schließlich seit beinahe dreißig Jahren Frieden!
    Vormals, in den ersten Jahren ihrer Thronbesteigung, dachte man noch anders: Da hätte jeder im Kaiserstuhl auf das Ansinnen, die christkatholischste Habsburgerin ins Kirchengebet einzuschließen, geantwortet: »Wieso? Sie steht doch schon drin! Heißt es denn nicht: ‘Erlöse uns von allem Übel?’«
    Schneegestöber und Windböen waren mit der Zeit heftiger geworden. Wer wirklich die warme Stube verlassen musste, weil er im Stall nach dem Rechten schauen wollte, dem grisselte der Schnee so kräftig ins Gesicht, dass er nur blinzelnd über den Hof huschen konnte. Selbst die Hofhunde stimmte dieses Wetter umgänglich, und jede Katze freute sich auf ihrem Kachelofen hämisch darüber, dass der Erzfeind jetzt draußen in einem Bretterverschlag auf halbgefrorenen Lumpen vor sich hin jaulte. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, auch nur eine Minute das Haus zu verlassen. Mit Sicherheit war daher die junge Frau, die wie eine Hexe um ihre Eiche tanzte und jauchzte, der einzige Mensch im Kaiserstuhl, der sich freiwillig Wind und Schnee, Frost und grauem Himmel aussetzte.
    Keine orgiastische Blocksbergmusik wogte allerdings zwischen dem Geäst, sondern nur das schale Rauschen des Windes. Auch hackten keine Krähen in den blutigen Kadaver eines Säuglings, genausowenig wie ein Messer in der Borke stak, aus dem Milch tropfte oder Wein. Trotzdem konnte Barbara froh sein, dass niemand sie beobachtete. Denn so, wie sie in dunkle schwere Tücher gehüllt mit einer Flasche in der Hand um den Stamm herumsprang, diesen mit einem schäumenden Getränk bespritzte und zwischendrin wie der gewöhnlichste Landsknecht immer wieder zum Trinken ansetzte, so sah sie wirklich aus wie eine aus dem Freiburger Spital entlaufene Wahnsinnige oder eben eine Hexe.
    Barbara hätte jeden stirnrunzelnden oder sich bekreuzigenden Philister verspottet, in derart übermütiger Laune war sie. Dass sie jetzt besonders wild tanzte, schien ihr die selbstverständlichste Sache von der Welt. War sie doch erst vor einer halben Stunde mit der Erfüllung eines Lebenstraums überrascht worden. Den wohl wunderbarsten Vin mousseux, den sich ein Gaumen vorstellen kann, hatte sie gekostet. Einen Mousseux von so wunderbarem Duft und Geschmack, dass ihr nach dem ersten Schluck sofort die Tränen in die Augen geschossen waren, Tränen der Rührung und Dankbarkeit, aber auch des Stolzes und der Freude.
    Dieser Mousseux war besser als alle Champagner, die sie bisher gekostet hatte, von einer Vollkommenheit, die betroffen und selig zugleich machte. Sein stetig ebenmäßiges Perlen war von einer Ausgewogenheit, die weit über dem stand, was sie bislang mit ihrer Rüttelmethode zuwege gebracht hatte. Sternförmig, in geschlossenem Schaumrund moussierten die Bläschen im Glas und vereinigten sich zum heiteren vielstimmigen Konzert. Edel wie die Musik war auch die Farbe, deren gegen die Kerze gehaltenes zartes Rot einmal in einen hell leuchtenden Apfelton zu wechseln schien, das andere Mal bis zur dunklen Glut der untergehenden Sonne reichte.
    Und erst der Duft! Wie frisches, noch warmes Weizenbrot, darin die belebende Kraft der Zitrone und die Milde des Honigs, durchrauscht von der waldigen Würze eines lauen Sommergewitters. Den Geschmack nur annähernd zu fassen, war unmöglich. Barbara schmeckte Walderdbeeren und Aprikosen, aber auch Zimt und Nelkenerde, verfeinert mit Vanille und Walnuss. Doch war da nicht auch Leinen und harziges Holz, Metall und sogar Blut? Nach einem halben Dutzend Schlucken war es ihr gleichgültig. Was zählte, war allein die Harmonie, die nicht auslotbare Tiefe und Flüchtigkeit, der überirdische Glanz, die Noblesse.
    Barbara spürte

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