Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Pauw
Vom Netzwerk:
gucken.«
    »Willst du nicht auf den Spielplatz? Oder einkaufen gehen, so wie Mama?«
    »King Kong«, sagte sie fest entschlossen.
    »Gut, wie du willst.« Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte ich, wie ein Wagen vor dem Haus hielt. Ich drehte mich um und sah Victor. Er kam einfach wieder mit seinem protzigen Auto angefahren, an dem kein Kratzer, keine Beule mehr zu sehen war. Er lief Rositas Gartenweg entlang, und ich sah, wie sie ihm aufmachte, noch bevor er geklingelt hatte. Die Galle kam mir hoch, und ich schluckte sie hinunter.
    Anna und ich betraten die Wohnung und setzten uns vors Aquarium. »King Kong, Hannibal, Maria, Peanut …«
    Ich glaubte Schritte auf Rositas Treppe zu hören. Sie nahm Annas Vater mit nach oben. Ich war bei Rosita noch nie im ersten Stock gewesen. Noch nie. Wann sah Rosita endlich ein, dass ich immer für sie da sein würde? Sie hatte gesagt, wir seien beinahe eine Familie, aber wie lange sollte ich noch warten?
    Ich weiß nicht, wie oft Anna und ich die Namen der Fische aufzählten, bis sie mich fragte, ob ich mit ihr Enten füttern wolle. Ich hatte schon ganz vergessen, dass wir vor dem Aquarium saßen und Fischnamen aufsagten, so sehr lauschte ich auf die Schritte auf der Treppe und das Quietschen von Rositas Bett.
    Anna sah mich mit Augen an, die beinahe genauso blau waren wie King Kongs Körper.
    »Einverstanden«, sagte ich. »Dann gehen wir an der Bäckerei
vorbei und holen altes Brot. Obwohl man mein Brot locker drei Tage aufbewahren kann, und es schmeckt immer noch köstlich. Doch Brot, das älter ist als ein Tag, darf nicht mehr verkauft werden. Dann bezeichnet man es als ›alt‹. Absurd.«
    Ich half ihr in die Jacke. Ein hübsches rotes Jäckchen, das hundertdreißig Gulden gekostet hatte. Aber laut Rosita war es gute Qualität, und Anna könne sie nächstes Jahr auch noch tragen. Zum Glück, denn meine Ersparnisse waren drastisch geschrumpft.
    Anna hüpfte an meiner Hand zur Bäckerei. Ich gewöhnte mich langsam daran, dass sie gern in meiner Nähe war. Victors Auto stand übrigens immer noch vor Rositas Tür. Wut stieg in mir auf, aber ich dachte: Nicht jetzt. Nicht, wenn die kleine Anna dabei ist.
     
    Es war nicht viel los in der Bäckerei. Die Leute kauften ihr Brot meist am Vormittag. Deshalb schloss der Laden bereits um halb fünf. Als Anna und ich vorbeischauten, war es Viertel nach vier. Wir mussten kurz warten, bis eine Frau ihr pain de campagne bezahlt hatte, bis wir in die Backstube gehen konnten. Sie nahm ihr Brot und drehte sich um. »Ah, der Bäcker«, sagte sie. »Stehen Sie nicht auf der falschen Seite der Theke?«
    »Ich holte altes Brot. Für die Enten«, sagte ich.
    »Ist das Ihre Tochter?«
    »Wir sind beinahe eine Familie«, erwiderte ich, »beinahe.«
    Ich glaube, die Frau sah erstaunt drein. »Ich wollte Ihnen immer schon sagen, dass ich Ihr Brot herrlich finde. Wirklich, etwas ganz Besonderes.«
    »Danke.« Das würde Rosita gefallen. Sie wollte immer wissen, ob ich wieder Komplimente bekommen hätte, und sagte dann: »Da siehst du mal, wie toll du bist, Ray.«

    In der Backstube hinter der Glaswand brannte noch Licht. Alle Oberflächen glänzten, und kein Krümel lag auf dem Boden. Nichts wies darauf hin, dass ich nachts und frühmorgens vierhundert Croissants, zwölf Sorten Brot und kleine Patisserie gebacken hatte. Und zwar ganz allein. Mein Chef hatte mich gefragt, ob ich einen Gehilfen bräuchte, aber ich hing während der Arbeit lieber ungestört meinen Gedanken nach.
    »Soll ich dir La Souche zeigen?«, fragte ich Anna. »Du weißt nicht, was das bedeutet, aber das macht nichts. Komm mal mit.«
    Sie folgte mir in den hinteren Teil der Backstube, zum Klimaschrank, wo La Souche bei einer konstanten Temperatur von sechzehn Grad und einer Luftfeuchtigkeit von achtzig Prozent am Leben gehalten wurde.
    Ich machte die Tür auf und ging vor dem Tontopf in die Hocke.
    »Pssst, sie schläft«, sagte Anna neben mir.
    »Das stimmt«, sagte ich überrascht. »Sie schläft. Wenn man schläft, wächst man, wusstest du das?« Ich hob das feuchte Baumwolltuch vorsichtig an, mit dem der Mutterteig abgedeckt war. »Riechst du La Souche ? Atme mal tief ein.«
    Anna sog den Duft in sich auf. »Bäh«, sagte sie anschließend.
    »Du hast ja keine Ahnung«, sagte ich wütend und deckte La Souche schnell wieder zu.
    Anna sah mich einen Moment ausdruckslos an und fing dann an zu weinen.
    »Nicht doch.« Ich versuchte mich zu erinnern, was mir Rosita

Weitere Kostenlose Bücher