Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
keuchen. Die Mündung der Pistole blitzte auf, und er duckte sich von dem Loch weg. Die Kugel war mindestens dreißig Zentimeter von der Stelle entfernt in die stählerne Armierung eingeschlagen, wo sich eben noch sein Auge befunden hatte.
»Gütiger Himmel, Sie sollten mit dem Ding lieber erst mal üben«, rief der Nomade. »Sie sind eine ganz beschissene Schützin.Aber die Cops brauchen Sie jetzt trotzdem nicht mehr zu rufen. Ich bin sicher, die Nachbarn haben uns den Gefallen schon getan.«
»Dann hauen Sie doch ab«, kreischte sie.
»Ich glaube nicht«, sagte er. »Hören Sie mal, wenn Sie jetzt die Tür öffnen, dann mache ich es Ihrem kleinen Mädchen ganz leicht. Noch fairer kann ich nun wirklich nicht sein.«
Wieder ein Knall aus dem Inneren, und wieder schlug etwas wie eine Faust in die Tür ein. »Na schön«, sagte er. »Sie hatten Ihre Chance.«
Er untersuchte den Türrahmen und fand die Stelle, wo die Kette befestigt war. Er hob die Schrotflinte, lud durch und schoss zweimal auf die Tür. Zurück blieben zerklüftete Krater und verbogenes Metall. Er lud noch einmal nach und lauschte dabei über das Sirren in seinen Ohren hinweg darauf, ob sich schon Sirenen näherten. Aber alles, was er hörte, war von irgendwo weiter hinten in der Wohnung das Kreischen des Kindes, und auch das nur gedämpft, weil ihm von dem Schuss aus der Schrotflinte die Ohren klingelten. Diese Schweine auf der Wache hatten ihm seine guten Ohrstöpsel abgenommen.
Irgendwo drinnen klingelte schrill ein Mobiltelefon.
Der Nomade holte Anlauf, schnellte vor und trat mit dem rechten Bein fest gegen die Tür. Sie sprang krachend auf und schlug innen gegen die Wand. Während er in den Qualm hineinspähte, lud der Nomade wieder durch. Das Telefon hörte auf zu klingeln. Dann sah er in der Tür zum Wohnzimmer eine Frau kauern und hob die Schrotflinte.
Sie rührte sich nicht, als er hereinkam. Als er sich ihr näherte, sah er die roten Spritzer auf ihrer Wange. Über ihrer rechten Brust war ein noch hellerer roter Fleck. Keuchend und hustend starrte sie zu ihm hoch, ihr Blick war angst- und hasserfüllt.
Hinter ihr im Wohnzimmer begann wieder das Telefon zuklingeln. Sein Display tauchte den Raum in ein schummriges Blau. Es vibrierte und kroch dabei langsam über den Couchtisch.
»Ich gehe schon für Sie dran«, sagte der Nomade.
72
Obwohl der Motor seines Audis auf vollen Touren dröhnte, behielt Lennon das Telefon am Ohr. Beim Schalten klemmte er es mit der Schulter fest und fing es, kurz bevor es herunterfiel, mit der Hand auf. Wieder nur der Anrufbeantworter. Er schaltete hoch und näherte sich, jetzt schon mit hundert Sachen, der Kreuzung von York Street und dem Westlink. Als die Ampel rot wurde, hupte er wie wild, ging aber nicht vom Gas, und die wenigen nächtlichen Autofahrer mussten scharf bremsen, um nicht mit ihm zusammenzustoßen. Als er auf die M2 abbog, blinkte auf dem Armaturenbrett die Anzeige des Antiblockiersystems auf, weil beinahe die Räder durchdrehten. Die Reifen touchierten auf der anderen Straßenseite den Randstein, und Lennon hörte ein hässliches Knirschen, als der hintere Kotflügel eine Straßenlaterne streifte, dann sprang der Wagen wieder auf die Straße zurück.
Zum dritten Mal drückte er auf die Wahlwiederholung und flüsterte dabei: »Komm schon, komm schon, komm schon …«
Diesmal kam nicht einmal ein Rufton, stattdessen wurde sofort auf den Anrufbeantworter umgeschaltet. Mit wem redete sie? Würde sie ihn zurückrufen?
»Marie, wenn du das hier hörst, ruf mich sofort an. Sofort, hörst du?«
Lennon unterbrach die Leitung. Er suchte die Nummer des Präsidiums heraus, seine Augen sprangen zwischen dem Telefonund der Straße hin und her. Der Wählton schaltete dreimal klickend weiter, weil der Anruf von einem Apparat zum anderen geschickt wurde. Wegen der Katastrophe im Zellentrakt war die Telefonzentrale unbesetzt. Er würde zur nächstgelegenen Wache weitergeleitet werden. Als sich endlich jemand meldete, sagte er: »Verbinden Sie mich mit Carrickfergus.«
73
Fegan lief in seinem kleinen Pensionszimmer auf und ab und hörte auf den Wählton. Seine Angst nährte sich an sich selbst, gebar sich aus sich selbst und wurde mit jeder Reinkarnation stärker. Er hatte versucht zu schlafen, aber vor wenigen Minuten hatte ihn der Feuertraum, der Gestank von brennendem Fleisch und Haar und von Kinderschreien hochschrecken lassen. Die Kleider, in denen er geschlafen hatte, waren schweißdurchtränkt.
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