Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
Leute reden eben. Crozier hätte sich in diesem Stadtteil niemals breitmachen können, wenn McKenna noch da wäre. JM: Und? AR: Und wenn ihr Jungs nichts dagegen unternehmt, dann macheich es. Hätte nie gedacht, dass ich so was mal erlebe, zum Teufel. Dass einer von unseren eigenen Leuten gemeinsame Sache mit den Litauern macht und der anderen Seite Geld in die Tasche stopft. Ich habe noch Rodney Croziers Vater gekannt. Der würde sich im Grabe rumdrehen, wenn er sähe, mit wem sein Sohn Geschäfte macht. JM: Uns sind die Hände gebunden, verstehen Sie? Wir können nicht nur auf Ihr Wort hin eine Operation dieses Ausmaßes in Gang setzen. AR: Herrgott, wer hat eigentlich bei den Cops neuerdings das Sagen? Wer verlangt von euch, dass ihr bei diesen ganzen Vorgängen einfach wegschaut? Erst die Geschichte, dass McKenna abgeknallt wird, und dann der ganze Scheiß, der …
Wieder waren Zeilen mit Filzstift geschwärzt. Die Fehde. Die Morde in Belfast. Das Blutbad auf der alten Farm an der Grenze. Zeugenbefragungen hatten ergeben, dass Dissidenten dem Politiker Paul McGinty dort aufgelauert hatten, und die Ermittlungen wurden eingestellt, als drei von ihnen sich ein paar Monate später mit ihrer eigenen Bombe in die Luft sprengten. Ein Spezialistenteam von Forensikern hatte die Überreste der Waffen in ihrem Wagen als die identifiziert, die bei der Schießerei benutzt worden waren.
Als Lennon damals die Nachricht von McKennas Tod hörte, hatte sein erster Gedanke Marie und Ellen gegolten. Er hatte daran gedacht, sie anzurufen, hatte sogar schon ihre Nummer in sein Mobiltelefon eingetippt, aber dann wurde ihm klar, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, was er sagen sollte. Er könnte darum bitten, mit seiner Tochter sprechen zu dürfen, aber er wusste, Marie würde nein sagen. Und was sollte man überhaupt mit einem Kind reden, das einen gar nicht kannte.
Und nicht etwa, weil er sich nicht bemüht hätte. Nach EllensGeburt hatte er über zwei Jahre lang versucht, irgendeine Art von Kontakt herzustellen. Ihre Mutter hatte er verlassen, als sie mit dem Kind schwanger gewesen war. Da er sich diese Sünde selbst nicht vergeben konnte, erwartete er auch nicht, dass sonst irgendjemand ihm Absolution erteilen würde. Trotzdem war Ellen immer noch sein Kind. Marie verweigerte jeden Versuch, jede Annäherung. Das war nicht mehr als die Strafe für sein Vergehen, und er wusste, dass er sie auch verdiente. Ellen aber nicht. Er überlegte, ob er durch die gerichtlichen Instanzen gehen und Marie zwingen sollte, ihm einen Kontakt zu ermöglichen, aber er hatte ja selbst gesehen, dass die Justiz mehr Familien auseinanderriss als zusammenbrachte. Eltern benutzten ihre Kinder als Waffe gegeneinander. Damit wollte er nichts zu tun haben. Letztlich kam er zu dem Schluss, dass es besser war, wenn das Kind aufwuchs, ohne ihn zu kennen, als wenn er es zum Mittelpunkt eines Krieges machte, für den es gar nichts konnte.
Lennons eigener Vater hatte die Familie ebenfalls verlassen, und geblieben waren nur vage Erinnerungen an einen Mann, der in einem Moment schallend lachen und im nächsten wutentbrannt zuschlagen konnte. Er sei nach Amerika gegangen, hatte Lennons Mutter ihm erzählt, und wenn er genug Geld beisammen habe, werde er Frau und Kinder nachholen. Noch Jahre später hatte sie jedes Mal, wenn der Postbote die Zeitung durch den Türschlitz schob, diesen Funken Hoffnung in den Augen gehabt. Der Brief war nie gekommen.
Für Lennon war Familie nicht gleichbedeutend mit Wärme und Geborgenheit. Sie war gleichbedeutend mit Schmerz und Kummer. Seine Familie hatte sich von ihm losgesagt, als er bei der Polizei angefangen hatte. Maries Familie hatte dasselbe mit ihr gemacht, weil sie etwas mit ihm angefangen hatte. Blutsbande wurden so mühelos durchtrennt, dass sein Kind bestimmt glücklicher sein würde, wenn es erst gar kein Band zu ihm knüpfte.
Aber vergessen hatte er seine Tochter nie.
Bis sie weggezogen war, hatte er ein- oder zweimal pro Woche in der Eglantine Avenue geparkt und das Kommen und Gehen von Marie und Ellen beobachtet. Ellen sah ihrer Mutter ähnlich, zumindest aus einiger Entfernung. Er stellte sich vor, wie er ausstieg, zu ihnen ging und sich hinhockte, um Ellen ins Gesicht zu sehen und dabei ihre kleine Hand zu halten.
Aber was hätte dabei schon herauskommen sollen? Es hätte das Kind nur verwirrt, und Marie hätte sie von ihm weggezerrt. Marie konnte ihre innere Härte gut verbergen. Er jedoch hatte sie mehr
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